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Orphan 1 Der Engel von Inveraray

Orphan 1 Der Engel von Inveraray

Titel: Orphan 1 Der Engel von Inveraray Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karyn Monk
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beginnen konnte, dem Jungen Manieren beizubringen.
    Er sah sie an, als habe sie den Verstand verloren. „Wovon reden Sie?"
    „Governor Thomson hat das Wort an dich gerichtet", erklärte sie und entschied, das Thema „was" und „wie bitte" zunächst einmal ruhen zu lassen.
    „Was hat er gesagt?" erkundigte sich Jack, ohne den Gefängnisdirektor dabei eines Blickes zu würdigen.
    Später würde sie ihm erklären, dass es unhöflich war, über einen Anwesenden zu sprechen, als wäre er nicht da. „Er fragte, ob du froh seiest, diesen Ort mit mir zu verlassen", teilte sie ihm mit.
    Jack zuckte die Schultern. „Alles ist besser als dieses Dreckloch."
    Governor Thomson zog empört die grauen Brauen hoch und lief vor Entrüstung rot an. „Na, hör mal, du undankbarer kleiner ..."
    „Du hast ganz Recht, Jack", warf Genevieve ein, die sich weder von der mürrischen Gleichgültigkeit des Jungen noch von seiner ungehobelten Ausdrucksweise beeindrucken ließ. Im Gegenteil, sie bewunderte seine Aufrichtigkeit. „Überall ist es besser als hier, in der Tat." Sie schenkte ihm ein Lächeln und widmete ihre Aufmerksamkeit dann erneut der Lektüre des Vertrags.
    Jack lümmelte sich gelangweilt auf seinem Stuhl und begann, die Absätze seiner schmutzigen, abgetragenen Schuhe gegen die mit Schnitzereien verzierten Stuhlbeine zu schlagen.
    „Hör sofort auf damit, du zerkratzt das Holz!" befahl Governor Thomson aufgebracht.
    „Es ist bloß ein Stuhl", antwortete Jack ungerührt.
    „Für dich zerlumpten kleinen Schurken mag es nur ein Stuhl sein, doch er besteht aus massivem Mahagoniholz und hat mehr gekostet, als du in deinem ganzen Leben je auf ehrliche Weise verdienen wirst!" fuhr der Gefängnisdirektor ihn an.
    Aus jeder Pore Trotz verströmend, trat Jack abermals gegen den Stuhl.
    „Warum wartest du nicht im Flur, Jack?" schlug Genevieve beschwichtigend vor, um einen Streit zwischen den beiden zu verhindern. „Der Governor und ich werden bald fertig sein."

    Jack ließ sich nicht zweimal bitten, stapfte zur Tür hinaus und begann, rastlos im Gang auf und ab zu gehen.
    „Sie werden alle Hände voll zu tun haben mit dem Burschen, das verspreche ich Ihnen", schnaubte Governor Thomson. „Ich wette, er wird noch vor Ende des Monats sein diebisches Handwerk wieder aufgenommen haben und erneut hier landen. Ich empfehle Ihnen, Miss MacPhail, ihm gegenüber keine Nachgiebigkeit zu zeigen - und ihn regelmäßig zu züchtigen, damit er Gehorsam lernt."
    „Ich pflege meine Kinder nicht zu schlagen, Governor Thomson", erwiderte Genevieve kühl.
    „Der Herr sagt uns, dass Kinder gezüchtigt werden müssen", widersprach der Direktor. „Wer den Stock spart, hasst seinen Sohn, doch wer ihn liebt, der züchtigt ihn. Geben Sie dem Burschen unmissverständlich zu verstehen, dass er Ihnen zu gehorchen hat. Sollte er Ihnen den geringsten Ärger machen, dann schicken Sie ihn schnurstracks zu mir zurück."
    „Was hat er gestohlen?"
    „Wie bitte?"
    „Sie erwähnten in Ihrem Schreiben, der Junge sei des Diebstahls für schuldig befunden worden. Was hat er entwendet?"
    Governor Thomson fingerte eine Brille aus seiner Jackentasche, setzte sie sich auf die Nase und schlug dann eine auf dem Schreibtisch liegende Akte auf. „Er ist in ein Haus eingebrochen und hat dort ein Paar Schuhe, eine Decke, einen Laib Käse und eine Flasche Whisky mitgehen lassen", verkündete er mit ernster Stimme. „Später hat man ihn im Wagenschuppen des Nachbarn entdeckt, wo er - in die Decke gehüllt - eingeschlafen war. Den Whisky hatte er halb geleert und den Käse restlos aufgegessen, die gestohlenen Schuhe trug er an den Füßen. Außerdem war er sturzbetrunken." Über den Rand seiner Brille hinweg warf er ihr einen ernsten Blick zu. „Ich fürchte, an seiner Schuld hat nie auch nur der geringste Zweifel bestanden."
    „Und für das Verbrechen, Kälte und Hunger zu leiden und keine anständigen Schuhe zu besitzen, musste man den Jungen ins Gefängnis werfen, ihn auspeitschen und in eine Besserungsanstalt schicken", sagte sie in bitterem Tonfall.
    „Wir leben in einem Land, wo Recht und Ordnung herrschen, Miss MacPhail. Wo kämen wir hin, wenn jeder, der friert und hungrig ist, beschlösse, einfach in das Haus oder das Geschäft eines anderen zu spazieren und sich zu nehmen, was ihm gefällt?"
    „Kein Kind sollte jemals zu derart verzweifelten Maßnahmen greifen müssen", entgegnete Genevieve. „Wir brauchen Gesetze, die unsere Kinder vor dem

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