Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
Sensenmann des Pleistozäns. Paul senkte den Kopf und schloß die Augen und war auf einmal so müde wie schon lange nicht mehr.
In seinem Traum hatte es eine Frau gegeben und blühende Pflanzen und Sonnenlicht, das durch ein verstaubtes Fenster fiel, aber jetzt zerrann alles, lief davon wie Wasser durch ein Abflußloch. Paul schüttelte den Kopf, und seine Augen flatterten. Läuft-weit stand vor ihm und sagte etwas, das er zuerst nicht verstand.
Der Jäger stupste ihn noch einmal sachte an. »Flußgeist. Flußgeist, du mußt mitkommen.«
»Mitkommen? Wohin?«
»Dunkler Mond sagt, du mußt kommen und reden.« Der Jagdführer war aufgeregt, wie Paul ihn noch nicht erlebt hatte, beinahe wie ein Kind. »Komm jetzt.«
Paul ließ sich von ihm hochziehen und folgte dann Läuft-weit zu dem Zelt, in das der Jäger das erste gebratene Fleisch des erlegten Hirsches gebracht hatte. Paul rechnete damit, hineingeführt zu werden, doch Läuft-weit bedeutete ihm zu warten. Der Jäger trat gebückt durch die Zeltklappe, und als er kurz darauf wieder zum Vorschein kam, führte er eine winzige Gestalt in einem dicken Fellumhang in den Feuerschein hinaus.
Die alte Frau blieb stehen und musterte Paul von Kopf bis Fuß, dann streckte sie ihren Arm in einer deutlich auffordernden, eigentlich eher befehlenden Geste aus. Paul trat vor und ließ zu, daß sie seinen Unterarm mit harten, knochigen Fingern umkrallte, woraufhin sie zu dritt langsam auf das Herdfeuer zutraten. Während sie die Frau zu einem rundlichen Stein am wärmsten Teil der Feuerstelle geleiteten, sah Paul, daß Vogelfänger ihn anstarrte und dabei den Arm des kleinen Mädchens hielt, das sich vorher Paul genähert hatte. Sein Griff war so fest, daß sie sich vor Schmerz wand.
»Bring mir Wasser«, sagte die alte Frau zu Läuft-weit und ließ sich langsam auf dem Felsen nieder. Als er fort war, wandte sie sich Paul zu. »Wie heißt du?«
Paul war sich nicht sicher, was für eine Antwort sie erwartete. »Die Männer vom Menschenstamm nennen mich Flußgeist.«
Sie nickte zufrieden, als ob er eine Prüfung bestanden hätte. Schmutz saß in den Runzeln ihres zerfurchten Gesichtes, und durch ihr dünnes weißes Haar zeichnete sich ihre Kopfform deutlich ab, doch die Stärke ihrer Persönlichkeit und die Achtung, in der sie bei den Menschen stand, waren unverkennbar. Sie hob eine klauenartige Hand und tupfte damit vorsichtig seine an.
»Ich werde Dunkler Mond genannt. Das ist der Name, den ich führe.«
Paul nickte, obwohl er nicht ganz einsah, wieso sie dieser Mitteilung soviel Bedeutung beizumessen schien. Das hier ist nicht meine Welt, erinnerte er sich. Für Primitive sind Namen etwas Magisches.
»Kommst du aus dem Land der Toten?« fragte sie. »Erzähle mir deine wahre Geschichte.«
»Ich … ich komme von einem sehr weit entfernten Ort. Die Menschen – die Jäger – haben mich gerettet, als ich im Fluß am Ertrinken war.« Er zögerte, dann verstummte er. Er glaubte nicht, daß er ihr seine wahre Geschichte würde begreiflich machen können, begriff er sie doch selbst nicht, nicht einmal die Teile, an die er sich deutlich erinnerte.
Sie schürzte die Lippen. »Und was hast du mit uns im Sinn? Was bringst du den Menschen? Was wirst du uns nehmen?«
»Ich hoffe, daß ich euch nichts nehmen werde, außer dem Essen und der Kleidung, die ihr mir gebt.« Es war schwer, einfach zu reden, ohne sich anzuhören wie ein Indianerhäuptling in einem schlechten amerikanischen Western. »Ich bin mit nichts aus dem Fluß gekommen, deshalb habe ich auch keine Geschenke.«
Dunkler Mond blickte ihn wieder an, und diesmal dauerte die Begutachtung eine ganze Weile. Läuft-weit kehrte mit einem Becher zurück, der aus einem Stück Tierhorn gefertigt zu sein schien; die alte Frau trank ausgiebig und richtete dann wieder den Blick auf Paul. »Ich muß nachdenken«, sagte sie schließlich. »Ich verstehe nicht, was du in der Welt tust.« Sie drehte sich um und tätschelte Läuft-weit auf die Schulter, bevor sie abrupt die Stimme hob und sich an den ganzen Menschenstamm wandte. »Jäger sind zurückgekehrt. Sie haben zu essen mitgebracht.«
Die anderen, die mit geradezu zivilisierter Zurückhaltung so getan hatten, als hörten sie bei ihrem Gespräch mit Paul nicht zu, ließen jetzt ein paar rauhe Beifallsrufe hören, obwohl die meisten emsig am Kauen waren.
»Heute nacht ist eine gute Nacht.« Dunkler Mond breitete langsam die Arme aus. Ihr winziger Körper schien für das
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