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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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getragen hatte, und aus diesem Grund haben alle Kinder des Urmannes und der Urfrau andere Hände als die Tiermenschen.
    Das Feuer, das an den Himmel geflogen war, wurde zur Sonne, und wenn sie scheint, verbergen sich Gelbauge und sein Volk vor dem Licht, weil es sie daran erinnert, wie sie vom Urmann überlistet wurden. Aber wenn es weggeht und die Welt im Dunkeln liegt, kommt Gelbauge wieder hervor, und sein Auge ist der Mond, mit dem er nach dem Kind ausschaut, das der Urmann und die Urfrau ihm versprochen hatten. Seit den Tagen, bevor die Väter eurer Väter und deren Väter in der Welt wandelten, jagt er jede Nacht nach den Kindern des Urmannes und der Urfrau.«
     
    Die Stimme von Dunkler Mond war sehr leise geworden, ein dünnes Wispern, das durch die atemlose Stille in der Höhle strich.
    »Er wird auch dann noch nach ihnen jagen, wenn die Kinder eurer Kinder und deren Kinder in der Welt wandeln werden.«
     
     
    > Er konnte ein mächtiges, langsames Stampfen hören, das Ticken einer titanischen Uhr oder die Schritte eines nahenden Riesen, aber er sah nichts als Finsternis, fühlte nichts als eisigen Wind. Er hatte keine Hände und keinen Leib, keine Möglichkeit, sich vor dem Unbekannten zu schützen, das in der schwarzen Leere hier am Rand aller Dinge lauerte.
    »Paul.« Die Stimme in seinem Ohr war leise und sanft wie eine fliegende Feder, aber sein Herz hämmerte los, als ob sie geschrien hätte.
    »Bist du das?« Entweder seine eigene Stimme machte außerhalb seines Schädels kein Geräusch, oder er hatte nicht mehr die Ohren, sich selbst sprechen zu hören.
    Etwas war neben ihm im Dunkeln. Er konnte es spüren, auch wenn er nicht wußte, wie. Er konnte es fühlen, einen schnellen Herzschlag, einen zarten Hauch.
    »Paul, du mußt zu uns zu rückkommen. Du mußt zu mir zurückkommen.«
    Und als ob sie seine Träume niemals verlassen hätte, sondern nur aus seinem Wachbewußtsein geschwunden wäre, sah er sie jetzt in der Erinnerung, konnte sich das Bild ihrer befremdlichen, aber wunderschönen geflügelten Gestalt, ihres traurigen Blicks vors innere Auge holen. Sie hatte einst in diesem goldenen Käfig gekauert, während er hilflos außen vor den Gitterstäben gestanden hatte. Er hatte sie diesem furchtbaren malmenden Ungetüm überlassen, dem Alten Mann.
    »Wer bist du?«
    Sie wurde ein wenig stärker spürbar, eine ganz feine Schwingung der Ungeduld ging von ihr aus. »Ich bin niemand, Paul. Ich weiß nicht, wer ich bin – es interessiert mich nicht mehr. Aber ich weiß, daß ich dich brauche, daß du kommen mußt.«
    »Wohin kommen? Du hast gesagt ›zu uns‹. Zu wem?«
    »Du stellst zu viele Fragen.« Es klang traurig, nicht verärgert. »Ich habe die Antworten nicht, die du wünschst. Aber ich weiß, was ich weiß. Wenn du zu mir kommst, werden wir beide es wissen.«
    »Bist du Vaala? Bist du die Frau von neulich?«
    Wieder die Ungeduld. »Diese Dinge sind unwichtig. Es ist so schwer für mich, hier zu sein, Paul – so schwer! Hör zu! Hör zu, und ich werde dir alles sagen, was ich weiß. Es gibt einen Ort, einen schwarzen Berg, der bis zum Himmel reicht – der die Sterne verdeckt. Den mußt du finden. Dort liegen alle Antworten auf deine Fragen.«
    »Wie? Wie komme ich dorthin?«
    »Ich weiß es nicht.« Eine Pause. »Doch es kann sein, daß es mir einfällt, wenn du mich findest.«
    Etwas störte seine Konzentration, ein unbestimmter, aber hartnäckiger Schmerz, ein Stechen, das Paul nicht ignorieren konnte. Der Traum sank in sich zusammen. Als er ihn entgleiten fühlte, versuchte er verzweifelt, sich an sie zu klammern, an diese Stimme im Leeren.
    »Dich finden? Was bedeutet das?«
    »Du mußt zu mir kommen … zu uns…« Sie wurde immer leiser, war kaum mehr wahrnehmbar, ein enteilendes Flüstern auf einem langen Korridor.
    »Verlaß mich nicht! Wie kann ich dich finden?« Das vage Unbehagen wurde schärfer, forderte seine Aufmerksamkeit. »Wer bist du?«
    Aus unbegreiflicher Ferne ein Raunen: »Ich bin … ein zersprungener Spiegel…«
     
    Seine Kehle war wie zugeschnürt, ein Schmerz wie eine feurige Messerspitze saß ihm im Bauch. Sie war wieder fort – seine Verbindung zur normalen Welt! Aber wie konnte jemand oder etwas so offenbar Wahnsinniges ihn in die Wirklichkeit zurückführen? Oder hatte er nur geträumt…?
    Der Schmerz wurde stärker. Seine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit, an die trübe Aschenglut, und er sah den formlosen Schatten über sich. Etwas Hartes, Scharfes

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