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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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verspätete Weinaxfreude
    Käufer und Schläfer
    Im Werk
    Die Schleier der Illusion
    Ein Arbeitstag
    Der unsichtbare Fluß
    Im Gefrierfach
     
Drei • Götter und Genien
    Kollaps
    Am Rand von Bobs Ozean
    Die schönste Straße der Welt
    Rotes Land, schwarzes Land
    In Erwartung der Traumzeit
    Das geliebte Stachelschwein
    Die Dunkelheit in den Leitungen
     
Vier • Klage
    Imaginäre Gärten
    Tod und Venedig
    Die Stimme der Verlorenen
    Die Feder der Wahrheit
    Ein unfertiges Land
     
    Ausblick

 
Vorspann
     
     
    > Schnee, überall Schnee – die Welt war weiß.
    Im Land der Toten muß es wärmer gewesen sein, ging es ihm durch den Kopf wie zum Hohn auf sich selbst, auf ein sinnloses Universum. Ich hätte es nie verlassen sollen.
    Schnee und Eis und Wind und Blut…
     
    Das Ding in der flachen Grube gab ein schreckliches Röhren von sich und schwenkte den Kopf. Geweihschaufeln von der Größe kleiner Bäume fegten hin und her, schleuderten Schnee und Erde in die Höhe und verfehlten nur knapp einen der Männer, der sich vorgebeugt hatte, um einen Stoß mit dem Speer zu führen.
    Der Hirsch war größer als alle Vertreter seiner Art, die Paul je im gemütlichen alten Londoner Zoo gesehen hatte, übermannshoch an den Schultern und schwer wie ein Zuchtbulle. Er kämpfte seit fast einer Stunde schon mit furchterregender Kraft, und die Spitzen des riesigen geschwungenen Geweihs waren mit dem Blut eines Mannes namens Weint-nie besudelt, doch das zottige Fell des Tieres war auch von seinem eigenen Blut getränkt, ebenso der Schnee ringsherum am Rand des Loches.
    Er sprang erneut hoch und glitschte mit scharrenden Hufen ab, die den Grund der Grube zu einem rötlichen Brei zerstampften. Speere, die der Hirsch in seinem dicken Pelz hängen hatte, rasselten wie exotische Schmuckstücke. Läuft-weit, der der furchtloseste Jäger des Trupps zu sein schien, sprang dicht heran und riß einen seiner Speere heraus. Sein Stoßversuch schlug fehl, weil er erst dem herumsausenden Geweih ausweichen mußte, aber dann bohrte er dem Tier die steinerne Spitze direkt unter das wuchtige Kinn. Das Blut aus der Schlagader spritzte drei Meter weit auf Läuft-weit und die beiden ihm am nächsten stehenden Jäger, die dadurch über das Ockergelb und Schwarz ihrer Jagdbemalung noch eine weitere Farbschicht erhielten.
    Der Hirsch machte einen letzten verzweifelten Versuch, die Böschung zu erklimmen und aus der Grube zu entkommen, aber bevor er am Rand Fuß fassen konnte, stießen ihn die Speere der Jäger zurück, so daß er unbeholfen wie ein Kälbchen wieder hinunterrutschte.
    Der aus dem Hals pulsende Blutfluß wurde schwächer. Der Hirsch stand auf wackligen Beinen unten in der Grube und holte stockend Luft. Ein Bein knickte ein, doch er rappelte sich noch einmal auf, bleckte mit letzter Anstrengung die Zähne und blickte funkelnd unter den weit ausladenden Schaufeln hervor. Der Mann namens Vogelfänger rammte ihm noch einen Speer in die Seite, aber das war eigentlich schon überflüssig. Der Hirsch taumelte einen Schritt zurück, und in sein Gesicht trat ein Ausdruck, den Paul bei einem Menschen als traurig bezeichnet hätte, dann fiel er auf die Knie und kippte mit pumpender Brust auf die Seite.
    »Jetzt schenkt er sich uns«, sagte Läuft-weit. Unter seiner verschmierten Farbe verzerrte ein starres Grinsen erschöpfter Befriedigung seinen Mund, doch aus seinen Augen sprach etwas Tieferes. »Jetzt gehört er uns.«
    Läuft-weit und ein anderer Mann kletterten in die Grube. Als der Gefährte das Geweih gepackt hatte und es dem japsenden und zuckenden Hirsch zum Trotz festhielt, schlitzte Läuft-weit dem Tier mit einer schweren Steinklinge die Kehle auf.
     
    Es wirkte wie eine besonders grausame Ironie, daß der Jäger mit dem eigenartigen Namen Weint-nie nicht nur tiefe Geweihschmisse am Kopf und im Gesicht bekommen, sondern außerdem noch sein linkes Auge verloren hatte. Während einer der anderen Jäger das schrundige Loch mit Schnee ausstopfte und es mit einem rohen Lederstreifen verband, murmelte Weint-nie etwas vor sich hin, einen raunenden Singsang, der eine Klage oder ein Gebet sein mochte. Läuft-weit hockte sich neben ihn und bemühte sich, dem Verletzten mit einer Handvoll Schnee Blut aus dem Gesicht und dem Bart zu waschen, aber die Wunden bluteten weiter stark. Paul staunte darüber, mit welcher Gemütsruhe die anderen die schrecklichen Verletzungen ihres Gefährten hinnahmen, doch andererseits hatten alle selber Narben und

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