Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
Martine findet, sagt ihr, was passiert ist. Ihr trojanischer Name ist Kassandra, und sie ist die Tochter des Königs, es dürfte euch daher nicht allzu schwerfallen, sie ausfindig zu machen. Sagt ihr, daß Orlando mitten im Schlachtgewühl steckt und daß wir uns was überlegen, um ihn da rauszuholen.«
»Mir ist grade was aus dem Epos eingefallen«, sagte Paul Jonas, »vielleicht nützt es euch was. Es gibt eine Stelle an einer der Mauern, die leichter zu ersteigen ist, weil da ein Feigenbaum steht – ich glaube an der Westmauer. Ich weiß noch, daß einer meiner Lehrer sich ausführlich darüber verbreitet hat.«
!Xabbu nickte. »Das ist gut zu wissen.«
»Also … über die Mauer?« fragte T4b zögernd.
»Wenn er nicht will, kann ich gehen«, sagte Jonas.
»Nein, du würdest keine von ihnen erkennen, und wir dürfen uns keinen Fehlschlag mehr leisten. Javier und !Xabbu werden es schaffen.« Renie faßte T4b an den Schultern. »Du wirst wahrscheinlich nirgends drübersteigen müssen. Tu einfach wichtig, und wenn sie dir am Tor zu viele Fragen stellen, ätz sie tüchtig an. So, und jetzt viel Glück.«
Er ließ eine kurze Umarmung zu, dann trat er zurück. »Bong, ich bin startklar«, sagte er barsch und blickte dann !Xabbu an. »Du auch?«
!Xabbu nickte und warf Renie ein letztes Lächeln zu, dann trabten die beiden auf das ferne Troja zu, dessen viele Türme hell und makellos glänzten wie elfenbeinerne Schachfiguren.
»Der Buschmann – er bedeutet dir viel, nicht wahr?« meinte Paul Jonas, während sie die beiden in einer Staubwolke verschwinden sahen.
»Ja. Ja, viel.«
»Mensch, da fällt mir noch was ein«, sagte Jonas betroffen. »Wo ist eigentlich Orlandos Freund? Wir haben gar nicht nachgeschaut, ob er vielleicht noch im Lager ist.«
Renie schüttelte den Kopf. »Kann ich mir nicht vorstellen. Die beiden sind wie siamesische Zwillinge – wenn einer von ihnen da draußen ist, muß der andere irgendwo in der Nähe sein.« Sie spähte in die Richtung, dann fluchte sie. Der Wind blies den Staub anrollender Streitwagen auf sie zu. Ein Teil der trojanischen Wagenstreitmacht war einen großen Bogen gefahren, um den Griechen in die Flanke zu fallen, und Renie und Paul Jonas waren in bedrohlicher Nähe der Angriffslinie. Andere Nachzügler flohen bereits um ihr Leben und eilten vom Rand des Gefechts auf sie zu. Renie packte Jonas’ Arm und zerrte ihn zurück zum abschüssigen Strand, der zwar wenig, aber immerhin etwas Sicherheit bot.
»Herrje, ich bin ein Trottel!« schimpfte sie, als sie die Böschung hinunterstolperten. » !Xabbu und T4b – wir haben vergessen, einen Treffpunkt auszumachen.« Pfeile flogen über ihre Köpfe hinweg, weniger als vorher, aber nicht minder tödlich, und bohrten sich in den sandigen Boden.
Jonas tat sein Bestes, sich beim Rennen den Schild über den Kopf zu halten, und war dabei nur mäßig erfolgreich. »Darüber können wir uns grämen, wenn wir da sind«, keuchte er. »Falls wir so lange leben.«
> Auf Sam Fredericks, eingekeilt in einem Gedränge von Menschen und Wagen in der Mitte des Feldes, machten die Mauern von Troja immer noch den Eindruck eines fernen Märchenschlosses, das sich weiß und unberührt über alles Niedere erhob. Um sie herum schrien und starben Männer. Die meisten Myrmidonenhelden und ihre wiedererstarkenden Bundesgenossen waren aus ihren Streitwagen gestiegen und suchten den Zweikampf mit den Trojanern.
»Jetzt ist es soweit, König«, rief ihr der Lenker über den Lärm hinweg zu. »Jetzt kannst du diese letzte Stellung des Priamosheeres niederwerfen und sie alle zu den Mauern zurücktreiben, wo wir sie abschlachten werden.«
Sam war wie gelähmt. Als sie den Entschluß gefaßt hatte, den Panzer anzulegen, hatte sie lediglich die Trojaner von Orlando fernhalten wollen – weiter hatte sie nicht denken können. Sie hatte sich einen tapferen Auftritt ausgemalt, mit dem sie vielleicht sogar den übrigen Griechen die Gelegenheit verschaffen konnte, ihren Mut wiederzugewinnen und die Trojaner zurückzuwerfen, aber sie hatte sich nicht annähernd so etwas wie die jetzige Situation vorgestellt, in der sie kurz vor den Mauern Trojas im dichtesten Männersterben war und der Ausgang der Schlacht vielleicht davon abhing, was sie als nächstes tat …
Der Wagenlenker brüllte einen Fluch, als ein schlecht geworfener Speer von der Wand des Wagens abprallte und sich kurz im Geschirr der Pferde verfing. Eines der stolzen Tiere strauchelte
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