Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
zu spät. Sie krallte sich an dem Wagen fest, der lebensgefährlich über den aufgerissenen Boden schlingerte und sprang. Ringsumher stieg das Kriegsgeschrei der Achilleischen Scharen auf wie das Gekläffe eines Jagdhunderudels. O Gardiner, was hab ich getan?
> »Es ist aussichtslos«, keuchte Renie. »Es müssen fünftausend Mann zwischen Orlando und uns sein – ich kann ihn nicht mal mehr sehen.«
Alle vier rangen angestrengt nach Luft. Sie waren weit den Strand hinaufgeeilt, doch als Griechen und Trojaner wieder aufeinander einhackten wie überdrehte Aufziehmännchen, waren Renie und ihre Gefährten an diesem relativ ruhigen Ort abseits der Schlacht stehengeblieben, wo es viel mehr Sklaven als Krieger gab und mehr Verwundete als Gesunde. Wenn ihr langverschollener Freund nicht dort auf der Ebene um sein Leben gekämpft hätte, wäre es ein guter Platz zum Ausruhen gewesen.
!Xabbu hatte einen Felsen erklommen. »Ich glaube, ich sehe Orlando«, rief er hinunter. »Er ist immer noch in seinem Wagen, aber von einer großen Menge umringt. Der Wagen wird angehalten.«
»Himmelherrgott nochmal, das macht mich noch wahnsinnig!« Renie pfefferte ihre Lanze zu Boden. »Ein Versuch, in seine Nähe zu kommen, wäre reiner Selbstmord.«
»Noch übler für mich«, merkte T4b an. »Ihr habt wenigstens eure eigene beblockte Rüstung.« Er war nicht glücklich darüber, daß er seinen goldenen Panzer gegen die Einzelteile hatte eintauschen müssen, die sie auf dem Schlachtfeld zusammengeklaubt hatten.
Paul Jonas stützte sich mit schweißtriefendem Odysseusbart schwer auf seine Lanze. »Und, was sollen wir tun?«
Renie ließ erschöpft den Kopf hängen. Nachdem sie mehrere Scharmützel mit umherstreifenden Horden am Rande des Gefechts gehabt hatten, waren sie und die anderen außerdem noch fast zwei Kilometer gerannt, in schwerer Bronzerüstung und mit Schilden und Waffen. »Laß mich erstmal nachdenken.« Sie nahm ihren Helm ab und ließ ihn fallen, dann stützte sie sich vorgebeugt auf die Knie und wartete, bis das in ihrem Kopf zirkulierende Blut sich nicht mehr wie geschmolzenes Metall anfühlte. Sie richtete sich auf. »Einmal müssen wir unbedingt Martine und den andern Bescheid geben. Wir müssen das sofort tun, damit sie weiß, daß Orlando und Fredericks am Leben sind und daß wir dich gefunden haben.«
»Was soll uns das nützen?« fragte Jonas. »Du hast gesagt, sie wären in den Frauengemächern. Sie werden wohl kaum angeritten kommen und uns retten.«
»Nein, aber was ist, wenn die Schlacht einfach weitergeht? Was ist, wenn Orlando überlebt und wir noch eine Nacht hier draußen verbringen müssen, um an ihn ranzukommen? Martine weiß nicht mal, daß !Xabbu , T4b und ich noch leben!«
Der Buschmann war von dem Felsen heruntergestiegen und schöpfte tief Luft. Er war deutlich besser bei Kräften als seine Gefährten, doch auch er ermattete langsam. »Soll ich gehen?« fragte er. »Ich kann an einem Tag lange laufen, Renie, und wenn es sein muß, danach noch mehr. Das habe ich als Kind gelernt. Wir sind jetzt näher an Troja als am griechischen Lager. Ich kann in einer Stunde dort sein, vielleicht sogar schneller.«
Sie schüttelte den Kopf. »Hinkommen ist nur eines, reinkommen mußt du auch noch.« Sie wandte sie an T4b. »Du solltest gehen, Javier.«
»Nenn mich nicht immer so!«
»Hör zu. Du bist derjenige, den alle kennen. Ich weiß nicht, wer dieser Glaukos war, aber er muß sowas wie ein trojanischer Strahlemann gewesen sein. Der beste Weg, ohne Probleme reinzukommen, dürfte sein, daß einer behauptet, er hätte eine Botschaft für den König oder so, und von uns allen kommst du wahrscheinlich am ehesten damit durch.«
Während T4b mürrisch darüber nachdachte, berührte !Xabbu ihren Arm. »Aber ich sollte mit ihm gehen, Renie. Wenn sie das Tor nicht öffnen, kann es sein, daß er über die Mauer klettern muß, um in die Stadt zu gelangen. Dazu sind unter Umständen zwei Leute erforderlich.« Vor allem, wie er nicht eigens zu sagen brauchte, wenn einer davon T4b war.
»Klettern? Da hoch?« T4b deutete auf die ferne weiße Steinfläche der trojanischen Außenmauer. Er sah nicht sehr glücklich aus.
»Aber …« Sie sah ein, daß !Xabbu recht hatte. »Natürlich. Es ist auf jeden Fall sicherer, wenn zwei gehen statt einem. Schließlich ist das hier ein Schlachtfeld.« Sie faßte ihren Freund bei der Hand, zog ihn zu sich heran und umarmte ihn. »Paß ja gut auf. Alle beide. Wenn ihr
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