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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Wagen schon die Mitte des Lagers erreicht. Der Myrmidonenangriff traf mit voller Gewalt auf den Engpaß, wo die Fliehenden sich drängten. Sam klammerte sich an den Rand des Wagens, denn ringsumher flogen schreiende Männer durch die Luft. Sie hatte noch keinen Schlag getan, aber Menschen starben unter den Wagenrädern, und die Überlebenden wurden von den Fußtruppen aufgespießt wie Fische in einem auslaufenden Teich. Die Myrmidonen riefen den Namen Achilles, als ob er ein Zauberwort wäre, und hackten und stachen dabei alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellte.
    Die Stockung am Tor löste sich rasch auf, und die Krieger, die erst eine Viertelstunde zuvor die griechische Feste so gut wie genommen hatten, strömten jetzt in panischer Flucht auf die Ebene hinaus. Eine grausame Freude schoß Sam aus dem Unterleib durch die Wirbelsäule und entfaltete sich in ihrem Kopf wie eine heiße Blutblume. Wie mächtig sie sich fühlte! Es war, wie wenn man ein Gott war – man schwenkte seine Lanze, und wimmernde Männer warfen sich in den Dreck.
    Als ihr Wagenlenker die Pferde durch das Gedränge am Tor manövrierte, rappelte sich zwanzig Meter weiter ein hingefallener trojanischer Krieger ohne Waffen und Schild auf und lief vollkommen kopflos davon, so daß er nicht links oder rechts zur Seite abbog, sondern stur geradeaus vor dem Streitwagen einherstrauchelte. Sam nahm die lange, schwere Lanze und wog sie in der Hand. Sie war vielleicht nicht Achilles, wahrscheinlich nicht einmal Orlando mit seiner langen Erfahrung als Thargor in den Kriegen von Mittland, aber diese Simulation hatte ihr die Muskeln eines Helden, den Arm eines Helden, die Zielsicherheit eines Helden verliehen. Sie holte mit der Lanze aus und ließ sie fliegen.
    Einen einzigen strahlenden Augenblick lang stimmte alles.
    In Sams Lieblingssportarten Fußball und Baseball gab es Momente vollkommener Klarheit, in denen es nur noch dich und den Ball gab, in denen die Welt völlig still und die Sekunde lang und länger wurde. Während ein Läufer auf das Mal zurennt, zielst du, schreitest aus und wirfst, und auch wenn du nicht den stärksten Arm der Welt hast, gibt es Zeiten, goldene Zeiten, in denen der Wurf perfekt ist und du, auch wenn der Ball ein- oder zweimal auftitscht, beim Loslassen weißt, daß er sich genau auf der richtigen Höhe in den Handschuh des Fängers schmiegen, daß alles zusammenkommen wird, Läufer, Mal, Ball … aber du bist bereits auf dem Weg vom Feld, weil du den Ausgang schon vorher kennst.
    Die Lanze flog aus Sams Hand, als ob sie auf einer Schiene liefe, und zischte ganz leicht gekrümmt durch die Luft, doch obwohl der Mann über holpriges Gelände stolperte, wußte Sam beim Abwurf, daß die Fluglinie und die Lauflinie sich wie mit dem Lineal gezogen schneiden würden.
    Die Lanze traf den fliehenden Trojaner wie ein Blitz und mit solcher Wucht, daß er nach vorn von den Füßen geschleudert wurde. Er stürzte aufs Gesicht und rutschte ein Stück; die durch die Brust gedrungene Lanzenspitze riß die schlammige Erde wie eine Pflugschar auf, und der lange Schaft wackelte. Ein wildes Beifallsgeschrei erhob sich von den Myrmidonen, als sie den Treffer ihres Anführers sahen, so als ob die blutige Tat endlich die Wahrheit des Wunders besiegelt hätte.
    Sams Wagen war so schnell bei dem Gefallenen, daß der Lenker gar nicht erst auszuweichen versuchte. Die schweren Räder rollten mit einem kurzen, widerlichen Knirschen über Arm und Kopf des getroffenen Mannes hinweg.
    Und plötzlich entsann sich Sam Fredericks, wo sie war.
    Mein Gott Inmitten der wie eine Springflut über die Ebene brausenden Wagen mit ihren triumphierenden Insassen, die den fliehenden Trojanern in die Beine säbelten und sie den gnadenlosen Lanzen des Fußvolks überließen, hatte Sam auf einmal das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Mein Gott, diese Leute bringen sich gegenseitig um. Was habe ich hier zu schaffen?
    Aber es war zu spät. Selbst wenn sie dem Wagenlenker laut schreiend befehlen würde umzukehren, er würde sie nicht hören, und außerdem würden die dicht auf den Fersen folgenden anderen Wagen das gar nicht zulassen. Nichts konnte den wilden, donnernden Ansturm der Myrmidonen aufhalten, solange sie die Mitte der Ebene nicht erreicht hatten, wo die immer dichter werdende gepanzerte Masse der Trojaner sich jetzt endlich ihren Feinden stellte und ihnen die mörderischen Lanzen entgegenstreckte wie die Abwehrstacheln eines riesenhaften Ungeheuers.
    Es ist

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