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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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von »Endstation«.
    Sie wischte sich das Blut soweit ab, daß sie sich umschauen konnte, doch die Augen brannten ihr immer noch. Der Wagen lag ein ganzes Stück von ihr entfernt, genauer gesagt, seine Trümmer. Eines der Pferde war zweifellos tot, das andere schlug zuckend mit den Beinen aus. Männer in anderen Wagen preschten auf sie zu, aber sie hatte keine Ahnung, zu welcher Seite sie gehörten.
    Vor sich sah Sam eine der aus dem Wagen geflogenen Lanzen und nahm sie als Stütze, um sich hinzustellen. Ihre ganze rechte Seite war ein einziger feuriger Schmerz, den sie nur wegen des Dröhnens in ihrem Kopf erst nicht wahrgenommen hatte, aber soweit sie sagen konnte, hatte sie sich nichts gebrochen.
    Sie sah die fernen Wagen auf sich zukommen und fragte sich, was sie jetzt tun sollte. Die anderen in ihrer Nähe bemerkte sie erst, als eine Stimme hinter ihr sie anredete.
    »Endlich werden wir die Kraft unserer Arme messen, Sohn des Peleus. Wie ich sehe, hast du deinen Wagen verloren. Was wirst du an diesem Tage wohl noch verlieren?«
    Sam Fredericks fuhr so schnell herum, daß ihr schwarz vor Augen wurde und sie beinahe umfiel. Der vor ihr stehende Mann kam ihr trotz seiner perfekten Proportionen unglaublich riesig vor. Seine Augen funkelten aus dem Schlitz seines Helms hervor. »Wer …?« krächzte sie.
    Der Mann schlug mit seiner langen Lanze derart dröhnend an seinen Schild, daß Sam meinte, ihr werde der Kopf zerspringen. »Wer?« donnerte er. »Du hast meine Brüder gemordet, die Städte meines Vaters zerstört, und doch kennst du den Priamossohn Hektor nicht, wenn du ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehst?« Der Mann nahm den Helm ab, daß sein Schopf dichter schwarzer Haare herabwallte, doch dabei trat ein eigentümlicher Ausdruck in sein schön geschnittenes, grimmig blickendes Gesicht. »Du kommst mir verändert vor, Achilles. Kann das die Folge deines Sturzes sein?«
    Sam taumelte zurück und wäre beinahe in eine flache Grube gefallen. »Ich … ich bin nicht …«
    »Beim olympischen Zeus, du bist gar nicht Achilles, sondern Patroklos in seiner Rüstung! Entsprang diese ganze schmähliche Niederlage der Furcht vor einem Blendwerk?« Er schnaubte wie ein wütendes Pferd. »Hast du Trojas Streitmacht allein mit der äußeren Hülle des Achilles in die Flucht geschlagen?« Seine Miene wurde hart, als wäre sie unter einem eisigen Windstoß augenblicklich gefroren. Er nahm seine wuchtige Lanze hoch. Sam starrte wie gebannt die tödliche bronzene Spitze an. »Nun, du wirst dich nicht lange über deinen Scherz freuen können …«
    Ihr Schild lag außer Reichweite. Sie meinte fast, jemanden ihren Namen rufen zu hören, eine ferne Stimme, wie man sie an der Schwelle des Erwachens im letzten Moment eines Traumes hört, aber das war jetzt bedeutungslos. Sam konnte sich nur noch zusammenkrümmen und die Hände vors Gesicht schlagen, als Hektor ein paar Schritte anlief und dann die schwarze Lanze auf sie fliegen ließ.
     
     
    > Während er sein Pferd über die Ebene trieb, gab es Momente, in denen er über einen antiken Wandteppich aus dem Museum zu reiten schien, vorbei an erstarrten Vignetten von auf der Flucht erschlagenen Männern und in gegenseitiger tödlicher Umarmung gefallenen feindlichen Kriegern – Dutzende von kleinen, aber vielfältigen Darstellungen zum Thema »Menschlicher Irrsinn«. Er achtete nicht weiter darauf, denn obwohl er zum Teil noch mit der übernatürlichen Klarheit sah, mit der er aufgewacht war, stand ihm der Sinn allein nach Vorwärts, Vorwärts, Vorwärts.
    Selbst an den Stellen, wo nicht mehr gekämpft wurde, machten die Leichen von Männern und Pferden und die Wolken von Krähen und anderen Aasfressern ein schnelles Vorankommen unmöglich. Obwohl Thargor einer der besten Reiter ohne Sattel in ganz Mittland war – und Orlando sich zu seiner Erleichterung anscheinend eine gewisse virtuelle Beherrschung dieser Kunst bewahrt hatte –, hätte er dennoch im Moment nichts lieber gehabt als einen festen gesattelten Sitz.
    In der Not frißt der Teufel Fliegen, sagte er sich. Es war kein sehr inspirierendes Motto.
     
    Orlando meinte, Fredericks jetzt in der Ferne erkennen zu können, da der spiegelblanke Bronzepanzer – sein eigener Panzer – bei einem gelegentlichen Sonnenstrahl blinkte. Der Wind wurde stärker. Staubwolken wirbelten auf und wehten ihm ins Gesicht, während er sich weit über den Hals des galoppierenden Pferdes lehnte und es mit den Fersen zu noch größerer

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