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P. S. Ich töte dich

Titel: P. S. Ich töte dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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verrückt, was vermutlich der Polizist geglaubt hatte, denn anders hatte ich seinen Blick zum Abschied nicht deuten können. Ich fühlte, wie mein Wunsch nach Gewissheit meine Angst vor dem unbekannten Mörder verdrängte, der – sollte ich denn recht haben – noch irgendwo im Haus lauern musste. Wartete er auf mich? Hatte er für mich das gleiche Schicksal ausersehen wie für den anderen Gast, der bei ihm Zuflucht gesucht und den Tod gefunden hatte?
    Entschlossen packte ich den Leuchter und ging durch die Halle. Aufmerksam sah ich mich um. Eine schwere, vom Alter geschwärzte Holztreppe führte hinauf in das obere Stockwerk. Dort oben, dachte ich, würde ich die Leiche nicht finden; niemand macht sich die Mühe, einen leblosen Körper eine Treppe hinaufzuwuchten, wenn er ihn ebenerdig verschwinden lassen kann. Ich hatte mit meiner Vermutung recht: Auf dem Parkett entdeckte ich Schleifspuren, kaum zu sehende Striche von Schuhabsätzen, die über den Boden gezogen worden waren. Sie endeten kurz vor einer großen Flügeltür an der Rückseite der Halle.
    Ich ging auf die Tür zu und öffnete sie vorsichtig, den Schürhaken fest in der Hand. Ein Knarren durchbrach die angespannte Stille. Erschrocken zuckte ich zusammen. Doch in der Dunkelheit auf der anderen Seite blieb es ruhig.
    Hinter der Tür öffnete sich ein leerer Festsaal, ein beeindruckender Raum von imposanter Größe. Die Wände waren mit Holzpaneelen verkleidet, durchbrochen von Fensteröffnungen, die an der Westseite deckenhoch das Mondlicht in den Raum ließen. Schwere Kronleuchter hingen von der Stuckdecke herab, ein Flügel stand einsam in der Mitte des Raumes. Ich trat an eines der Fenster und sah hinaus: Es hatte aufgehört zu schneien, der Mond, der durch eine Wolkenlücke gebrochen war, tauchte die Schneelandschaft in kaltes Licht. Eine von einer Steinbalustrade begrenzte Terrasse schloss sich an das Haus an, eine Freitreppe führte hinab in einen verwilderten Park. Riesige, einige hundert Jahre alte Bäume reckten ihre dürren Finger in die Nacht.
    Ein Bild blitzte in meinem Inneren auf, wahrhaftig wie eine Erinnerung und genauso irreal, das Bild einer Gesellschaft, die hier feierte: Frauen im langen Abendkleid, Männer im schwarzen Frack, entspannte Gesichter, Lachen, das Klirren von Champagnergläsern. Nur einen Lidschlag lang, ein kurzes Aufflackern, dann war der Moment vorbei, so schnell, dass ich ihn nicht greifen konnte.
    Ich ging in die Knie und betrachtete das Parkett. Die Schleifspuren auf dem Boden setzten sich fort, führten zur Rückseite des Saals und endeten direkt vor der verkleideten Wand. Für einen Augenblick war ich ratlos, doch dann merkte ich, wie ich intuitiv an die Vertäfelung griff und mit den Fingerspitzen über den Rand eines der Paneele strich, so als ob ich wüsste, was ich suchte. Ich nahm die Holzverkleidung an der Stelle genauer in Augenschein. Tatsächlich verbarg sich ein winziger Hebel im Schatten zwischen zwei Kassettenfeldern. Das Holz war an dieser Stelle abgegriffen, offenbar hatte ich dies bemerkt, ohne es bewusst zu realisieren. Ich drückte den Hebel herunter, und eine Klappe öffnete sich. Dahinter verbarg sich ein elektrisches Bedienfeld, offensichtlich für einen Aufzug, der hier vor vielen Jahren nachträglich eingebaut worden war.
    Ich drückte den Rufknopf. Irgendwo im Inneren des Hauses war ein Rumpeln zu hören, es wurde lauter und lauter, bis einige Zeit später ein Teil der Vertäfelung knirschend zur Seite glitt und den Eingang zu einer Fahrstuhlkabine freigab. Flackerndes Neonlicht drang in den Saal.
    Ich war zurückgewichen, als sich die Tür öffnete. Jetzt kam ich vorsichtig näher und blickte in das Innere der verlassenen Kabine. Sie war breit und tief, ein Lastenaufzug, vermutlich, um schnell große Mengen an Stühlen oder Tischen aus den Lagerräumen im Keller heraufzubringen. Dunkle Flecken bedeckten den Fahrstuhlboden. Ich betrat die Kabine und bückte mich, um sie genauer zu betrachten. Meine Fingerspitzen verfärbten sich, als ich einen der Flecken berührte. Es war Blut.
    Zufrieden richtete ich mich auf: Ich hatte recht gehabt – das war der Beweis, dass vor nicht allzu langer Zeit eine Leiche hier hereingeschleppt und abgelegt worden war. Es war der Beweis, dass ich tatsächlich den Toten gesehen hatte, dass ich nicht verrückt war.
    Doch etwas ließ mich zögern, sofort das Haus zu verlassen und zurück in die Stadt zu laufen, um von meiner Entdeckung zu berichten. Es war eine

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