Maxi "Tippkick" Maximilian
Silvestermitternachts-Schock
„Kommt schon! Worauf wartet ihr noch? Bringen wir’s hinter uns!“, forderte Vanessa, die Unerschrockene, und streckte ihre Hand nach dem schwarzen Ball aus.
Ihr Satz erfüllte die Halle von Camelot, bevor er durch die Ritzen in den Bretterwänden in die Neujahrskälte entwich. Danach war es still.
Für die anderen war es still.
Absolut mucksmäuschen-totenstill.
Doch ich begann jetzt erst zu hören.
Ich hörte den angehaltenen Atem von Felix, dem Wirbelwind, und wie sich das Asthma in seiner Brust dagegen wehrte.
Ich hörte das Rascheln von Vanessas Kapuzensweatshirt. So zitterten ihre Finger.
Ich hörte, wie das Herz von Leon, dem Slalomdribbler, bis hoch in seinen Hals schlug. Und ich hörte das Zähneknirschen von Fabi, dem schnellsten Rechtsaußen der Welt, als er als Letzter die Hand über dem Amboss erhob.
Dort, auf dem alten Holzfass in unserer Mitte, lag der schwarze Ball. Der Wilde Kerle -Fußball. Der Ball, der Raban, dem Helden, erst in dieser Nacht von den Geistern des Fußballorakels geschenkt worden war.
Einem Orakel, das nur alle 24 Jahre stattfinden konnte. Im alten 60er Stadion. In der Silvesternacht kurz nach Mitternacht – so wie heute. Und das auch nur dann, wenn in den Dezembernächten zuvor die Glühwürmchen tanzten.
Schlotterbein und Tarzanschrei! Wir wollten es immer noch nicht richtig glauben. Aber es war wirklich passiert. Wir hatten es mit unseren eigenen Augen gesehen. Heute Nacht, vor knapp einer Stunde, hatten die Geister der Weltmeisterschaftself von 1974 doch tatsächlich mit Raban Fußball gespielt. Zuerst hatten sie mit ihm gespielt und dann hatten sie über sein Schicksal entschieden:
Raban, der Held, mit den roten Haaren und der Coca-Cola-Glas-Brille, war nicht gut genug. Er war nicht gut genug, um ein Fußballprofi zu werden.
Schlotterbein und Tarzanschrei! Wie froh waren wir alle in diesem Moment, dass das Fußballorakel nicht über uns entschieden hatte. Aber Raban war nicht umsonst unser Held. Er hatte das längst schon gewusst, und deshalb war er für die neue Aufgabe mehr als bereit. Die Aufgabe, die ihm das Orakel auferlegt hatte. So wie Willi vor 24 Jahren in einer ähnlichen Glühwürmchennacht. Da hatte das Orakel ihm prophezeit, er würde einmal der beste Trainer der Welt und er würde die wildeste Mannschaft trainieren: uns!
Ja, und deshalb war es jetzt absolut mucksmäuschen-totenstill.
Nur für mich hörten die Geräusche nicht auf. Ich, Maxi „Tippkick“ Maximilian, begann in die Stille zu hören.
Ich hörte das Kratzen der Zehen von Jojo, der mit der Sonne tanzt, auf dem Fußbett seiner geflickten Sandalen.
Ich hörte, wie die Stirn von Marlon, der Nummer 10, Leons um ein Jahr älteren Bruder, Gedankenfalten schlug, als stürzten Sturmwellen gegen die Bretterwände von Camelot an.
Doch einer nach dem anderen streckten wir unsere rechte Hand aus. Es britzelte wie gerade gezündete Wunderkerzen, als sich unsere Finger über dem Amboss berührten.
Ja, und dann berührten wir alle den Ball.
Den Wilde Kerle -Ball!
WWWUUUUSCHSCH!
„Wwuuschsch!“, spürten wir seine schwarze, runde Magie, und dann knackte Rabans trockene Zunge, als sie sich vom Gaumen losriss. Räuspernd und stotternd beschwor er seine neugeborene Aufgabe, seine Vision, die ab jetzt auch unsere war.
Ja, und deshalb stellten wir uns alle an seine Seite. Schlotterbein und Tarzanschrei! Mit immer kräftiger werdenden Stimmen fielen wir in das Versprechen mit ein:
„Wir, die Wilden Kerle e.W. aus dem Teufelstopf in Grünwald, wir sind bei der Fußballweltmeisterschaft im Jahr 2006 mit von der Partie. Das versprechen sich: Leon, der Slalomdribbler; Marlon, die Nummer 10; Fabi, der schnellste Rechtsaußen der Welt; Rocce, der Zauberer; Raban, der Held; Jojo, der mit der Sonne tanzt; Joschka, die siebte Kavallerie; Juli „Huckleberry“ Fort Knox, die Viererkette in einer Person; Maxi „Tippkick“ Maximilian, der Mann mit dem härtesten Schuss auf der Welt; Vanessa, die Unerschrockene; Deniz, die Lokomotive; Markus, der Unbezwingbare und Felix, der Wirbelwind. Wir versprechen uns das, heute und hier auf Camelot, am 1. Januar 2003.“
Raah! Das tat gut. Unsere Stimmen klangen sicher und fest und wir hielten unsere Köpfe erhoben. Auch ich sprach den Schwur. Ich riss den Mund auf, so weit ich konnte. Mit den Lippen formte ich jedes Wort ganz genau. Doch so sehr ich mich auch bemühte, ich brachte keinen Laut, ich brachte noch nicht einmal ein
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