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P. S. Ich töte dich

Titel: P. S. Ich töte dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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kratzen.
    Was soll’s. Hier ist es scheiße, aber ich bin glücklich
, dachte Martin und sah zur Badezimmertür, hinter der er das Wasser rauschen hörte. In dieser Hinsicht war Nadja der Mann in ihrer Beziehung. Während die meisten Frauen, die er kennengelernt hatte, nach dem Sex immer stundenlang kuscheln wollten, rannte sie sofort nach dem Orgasmus unter die Dusche. Am Anfang ihrer Beziehung hatte er sich noch darüber gewundert; heute freute er sich über dieses vertraute Ritual. Lange hatte er geglaubt, es nie wieder erleben zu dürfen.
    Fast hätte ich sie verloren,
dachte er melancholisch.
Und dann wäre ich allein gewesen. Allein mit meinen Stimmen.
    Die Sprungfedern knackten bedrohlich, als Martin sich zur Seite drehte, um die Nachttischschublade aufzuziehen. Er hätte sich nicht gewundert, ein gebrauchtes Kondom oder ein schimmliges Wurstbrötchen darin zu finden; umso erstaunter war er über den tadellosen Zustand der Bibel. Das Neue Testament, in Leder gebunden, mit Goldprägung und Lesezeichen.
    Martin war kein besonders gläubiger Mensch. Eher einer von der Sorte, die sich mit der Behauptung:
»Ich denke, es muss eine höhere Macht geben, aber ich würde sie nicht Gott nennen«,
herauslog, wenn man ihn nach seiner Konfession fragte. Er war konfirmiert, aber das auch nur, weil ihm damals seine Mutter ein Computerspiel für seinen Kniefall versprochen hatte. Als ihm Jahre später mit der ersten Gehaltsabrechnung die Höhe der Kirchensteuer bewusst wurde, trat er sofort wieder aus. Daher suchte er heute weder Trost noch Bestätigung in der Bibel, sondern einfach nur Ablenkung.
    Martin hatte mehrere Macken. Und von allen Macken, derer er sich bewusst war, zählte diese sicher zu den unbedeutendsten: Er konnte nicht einschlafen, ohne zuvor noch wenigstens eine Seite gelesen zu haben. Dabei war es ihm ganz egal,
was
er las. Ein Buch, eine Illustrierte, die Rückseite einer Packung Cornflakes oder die Inhaltsangabe auf einer Shampoo-Flasche; sogar eine Gebrauchsanweisung erfüllte ihren Zweck. Nach einem langen Tag (und heute war ein
verdammt
langer Tag gewesen) fühlte er sich meist, als ob in seinem Kopf ein Überdruckventil geplatzt wäre. Und es gab nur eine wirksame Methode, um den Pfeifton zu ersticken, den seine wild schweifenden Gedanken erzeugten: lesen, egal was.
    Meinetwegen auch eine Bibel, wenn es hier nichts anderes gibt.
    Mangels eines Fernsehers lag in diesem Null-Sterne-Loch nicht einmal die obligatorische TV -Zeitschrift aus. Normalerweise hatte Martin immer ein Buch (meistens einen Thriller) im Gepäck, wenn er auf Reisen ging. Doch Nadja und er hatten sich so spontan entschlossen, für ihre zweiten Flitterwochen auf die Malediven zu fliegen, dass ihnen gerade mal Zeit blieb, Badesachen, Kosmetika und Medikamente einzupacken. Den Rest, also auch Bücher, wollten sie am Flughafen kaufen, doch hatte der Schneesturm ihre Pläne im Keim erstickt.
    Martin schlug zufällig die Bergpredigt auf, die Passage, in der Jesus zu den Menschen spricht: »Liebet eure Feinde.« Er fragte sich kurz, ob Liebe denn eine Entscheidung sei, die man bewusst treffen könne, oder nicht viel eher ein Gefühl, das sich nicht erzwingen ließe. Ebenso wenig, wie er sich befehlen könnte, dieses nach Schweiß und Schimmel stinkende Hotelzimmer zu lieben. Manche Dinge lagen einfach außerhalb jeder bewussten Kontrolle. Die Tatsache, dass er sich hier wohl fühlte – obwohl die Schränke mit einer Staubkruste überzogen waren und die Fenster sich nicht öffnen ließen –, war einzig und allein dem Umstand geschuldet, dass das hier, verglichen mit all dem, was er zuvor durchgemacht hatte, das Paradies war.
    Ein Paradies ohne Stimmen. Ohne tödliche Befehle.
    Er schloss die Augen und versuchte, seine morbiden Gedanken abzuschütteln. In den letzten Wochen hatte er sehr viel schlimmere Orte besucht. Orte, die vor ihm noch nie ein Mensch betreten hatte, denn sie befanden sich nicht in der realen Welt, sondern …
    … ausschließlich in meinem Kopf
.
    Mit den Stimmen hatte alles angefangen, damals kurz nach der Fehlgeburt, die Dr. Jonas Gorman für den Auslöser seiner Halluzinationen hielt. Sie kamen aus der Wand, plötzlich und ohne Vorwarnung, wie aus dem Nichts. Das erste Mal hörte er sie unter der Dusche. Er hatte den Strahl auf kochend heiß gestellt, als ob er damit die schlechten Neuigkeiten einfach aus seinem Bewusstsein brennen könnte, die man ihnen erst wenige Stunden zuvor in der Kinderwunschklinik

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