P., Thomas
Rockermythen versprach, und sind nun in der
Gefangenschaft - auf der Flucht vor einem Motorradclub, der längst keiner mehr
ist. Sondern eine Verbrecherbande, die auch vor Morden nicht zurückschreckt.
Wir sind auf der Flucht vor den Hells Angels, die sich an mir und meinen
Angehörigen rächen wollen...
2. Der Hurensohn Eine Kindheit in
Ostfriesland
1.
Mein Leben war eine stete Suche. Die Suche nach einer
Familie, nach Verlässlichkeit, nach Liebe und nach Freundschaft. Das war
eigentlich alles, was ich je wollte. Nicht viel, sollte man meinen. Und
gleichzeitig das ganze Elend.
Gesucht habe ich immer - damals zum Beispiel, als ich
eines Nachts aufwachte und die Dunkelheit und die Stille mich vollkommen
verstörten und nicht mehr einschlafen ließen. Also kroch ich aus dem Bett,
tastete mich im Licht des Mondscheins, der fahl das Zimmer erleuchtete, hinüber
zur Zimmertür. Ich öffnete sie und merkte, dass das ganze Haus von dieser
Stille erfüllt war. Einer Stille, die einen umfängt, wenn man spürt, dass da
keiner ist. Dass man völlig allein ist.
Nicht, dass ich es nicht gewohnt gewesen wäre. Ich war oft
allein, schon als Kleinkind. Aber in jener Nacht konnte ich nicht einfach
darüber hinwegschlafen. Ich war vier Jahre alt, und dieses entsetzliche Gefühl
des Verlassenseins verstörte mich. Ich tastete mich an den Wänden entlang durch
das leere Haus. Küche, Wohnzimmer, das Schlafzimmer meiner Mutter, das Zimmer
meines Bruder - nichts. Bad, Diele, auch nichts. Es war keiner da. Ich war
alleine, als kleiner Junge, und stand plötzlich vor der Haustüre. Sie knarrte
laut, als ich sie öffnete und vorsichtig hinausging. Hinaus in die
Morgendämmerung der Stadt.
Aurich in Ostfriesland. Wir lebten damals in der Nähe der
Fußgängerzone, in einem zweistöckigen Häuschen, wie sich dort eines an das
nächste reiht. Eine gutbürgerliche, beschauliche Kleinstadt, in der unser Haus,
oberflächlich betrachtet, nach außen und nach innen einen ordentlichen und unauffälligen
Eindruck machte. Bei uns zu Hause war es immer sauber - darin war meine Mutter
tatsächlich spießig. Eigentlich gab sie sogar eine gute Hausfrau. Gemessen
daran, dass sie eine Alkoholikerin war. Und eine Nutte. Ich war der Sohn einer
Hure und wusste nicht, dass andere Mütter weitaus bessere Leben zu bieten
hatten...
Mein fünf Jahre älterer Halbbruder und meine zehn Jahre
ältere Halbschwester waren im Grunde nicht besser als meine Mutter. Meine
Schwester vögelte sich quer durch Aurich, und mein Bruder fing schon früh damit
an, meiner Mutter beim Saufen Gesellschaft zu leisten. Wenn die beiden einmal
ausnahmsweise auf mich aufpassen sollten, dann kam es nicht selten vor, dass
ich einfach irgendwo stehen gelassen wurde. Und wenn ich Glück hatte, war das
in der Nähe unseres Hauses. Oder ich wurde gleich daheim eingeschlossen. Das
war die Alternative, vor der ich stand — vor eine Wahl gestellt wurde ich
allerdings nie. Mein leiblicher Vater (der nicht der Vater meiner Geschwister
war, denn das war irgendein anderer Säufer) kam gelegentlich am Wochenende bei
uns vorbei — zum Vögeln oder zum Saufen. Meine Mutter und er waren zusammen,
aber irgendwie auch wieder nicht. So klar, wie das bei zwei Alkoholkranken eben
geregelt ist. Offiziell wohnte er wieder bei seinen Eltern oder auch nicht.
Eine fragwürdige Konstellation, die mein kleiner Kinderkopf damals nicht
verstehen konnte.
Ich stolperte also in jener Nacht durch die im Stil der
Siebzigerjahre gepflasterte und betonierte Fußgängerzone. Barfuß und im
Schlafanzug. Ich wusste nicht, wohin ich gehen sollte. Ich wusste nur, dass ich
meine Mutter finden musste. Denn es war tiefste Nacht, und ich fühlte mich
irrsinnig einsam und verlassen.
Auf Höhe des Reisebüros, ein paar hundert Meter von
unserem Haus entfernt, wurde ich dann glücklicherweise abgefangen. Das
Geschäft gehörte den Eltern von Tim, einem meiner wenigen Freunde. Die Leute
müssen mich wohl draußen auf der Straße gesehen haben. Sie kannten mich
natürlich, wie man sich eben so kennt in einer 40.000-Einwohner-Stadt, und
wussten auch, wo sie anrufen mussten. Die Auswahl an entsprechend
heruntergekommenen Spelunken in der Auricher Innenstadt war nicht so groß, als
dass man nicht hätte erahnen können, wo meine Mutter zu finden war. Im
»Störtebeker« oder im »Alten Fritz«. Dort saß sie dann in qualmiger und
abgestandener Luft auf verblichenen Holzstühlen mit fleckigen Polstern im
Schummerlicht
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