Pain - Bitter sollst du buessen
während ich fort war? Hat Melanie dich gut versorgt? Nein?« Lächelnd trug sie den Kater ins Arbeitszimmer und öffnete das Fenster einen Spaltbreit, damit sich das Hausinnere abkühlte.
Sie setzte Charon aufs Bücherregal, wo er zwischen ihren Psychologiebänden und Stapeln von Papierkram umherstolzierte. Dann sprang er auf den Schreibtisch, auf dem sich ihre Post stapelte, säuberlich nach Briefen, Reklame, Zeitschriften und Zeitungen geordnet. Melanie, Sams Assistentin, die nicht nur das Haus gehütet und Charon versorgt, sondern während Samanthas Urlaub auch ihre Radiosendung übernommen hatte, war ein Ausbund an Tüchtigkeit.
Samantha rückte den Schreibtischstuhl zurecht und ließ sich auf den vertrauten Sitz fallen. Sie schaute sich im Zimmer um. Irgendwie erschien es ihr verändert, aber sie wusste nicht, weshalb. Vielleicht lag es nur daran, dass sie so lange fort gewesen war, über zwei Wochen. Oder sie war durch den Schlafmangel der letzten Tage und die emotionalen Turbulenzen der Reise einfach ein wenig daneben.
Seit der Landung in Mexiko vor zwei Wochen war alles schief gegangen. David und sie hatten nicht bloß mal wieder den ewig gleichen Streit – er wollte, dass sie ihren Job aufgab und zurück nach Houston zog –, sondern zu allem Überfluss auch noch einen so genannten Bootsunfall gehabt, bei dem sie und ihre Handtasche in den Pazifik gestürzt waren. Dabei hatte sie sich einen verstauchten Knöchel eingehandelt – und ihre Handtasche samt der Papiere war auf Nimmerwiedersehen im Meer versunken. Seitdem trug sie einen scheußlichen, hinderlichen Gipsverband. Die Ausreise war ein einziges Chaos gewesen, und nur mit Mühe hatte sie die Behörden überreden können, sie zurück in die USA zu lassen.
»So etwas passiert eben«, hatte David mit einem Achselzucken gesagt, als sie schließlich in die 737 gestiegen waren. Er bedachte sie mit einem Lächeln und zog eine Augenbraue hoch, als wollte er sagen: Hey, wir können jetzt nichts daran ändern. Wir sind im Ausland. Natürlich hatte er Recht, aber das besserte auch nicht ihre üble Laune und ihren Verdacht, dass der Kapitän des Fischerboots betrunken gewesen war oder unter dem Einfluss irgendwelcher Drogen gestanden hatte, dass ihre Handtasche wie auch das Gepäck einiger anderer Teilnehmer der Gruppe von einheimischen Tauchern aus der See gefischt worden waren und dass die Kreditkarten, das Bargeld und andere Wertgegenstände mittlerweile an der gesamten Westküste Mexikos benutzt oder versetzt wurden. Nach den Worten des Kapitäns hatte das winzige Fischerboot einen Satz gemacht, um einem Felsen auszuweichen – das klang in Sams Ohren ganz und gar nicht plausibel. Ein Schnitzer eines Seemanns, der jeden Tag in den Gewässern vor Mazatlán umherschipperte. Samantha hatte ihm die Geschichte nicht abgenommen und irgendeine Form der Entschädigung verlangt, mindestens jedoch eine Entschuldigung. Stattdessen war sie in einem kleinen Krankenhaus bei einem ältlichen Arzt gelandet, einem ausgewanderten Amerikaner, der aussah, als hätte er schon in den Siebzigerjahren in den Ruhestand gehen sollen. Wahrscheinlich hatte er genau das in seiner Heimat auch getan – oder er war wegen Kurpfuscherei des Landes verwiesen worden.
»Saure Trauben, Dr. Sam«, ermahnte sie sich selbst, während sich Charon auf seinem Lieblingsplätzchen auf der Fensterbank niederließ. Er starrte durch die Scheibe, sein Blick folgte irgendeiner Bewegung in der Dunkelheit. Vermutlich ein Eichhörnchen. Samantha schaute ebenfalls hinaus, entdeckte aber nichts außer den dunklen Schatten der Bäume.
Sie drückte die Abspieltaste ihres Anrufbeantworters, griff dann nach einem Brieföffner und schlitzte den ersten Umschlag auf – eine Rechnung. Zweifellos die erste von vielen. Der Rekorder gab eine Reihe von Signaltönen und ein Klicken von sich, danach begann er mit dem Abspielen.
Der erste Anrufer hatte aufgelegt.
Toll.
Sie warf die Rechnung auf den Tisch.
Als Nächstes meldete sich ein Werbeagent und erkundigte sich, ob sie eine Autoglas-Reparatur benötige.
Noch besser. Sie dachte an ihr rotes Mustang-Cabrio und konnte es kaum erwarten einzusteigen und loszufahren. Aber eine neue Windschutzscheibe brauchte sie nicht. »Nein, vielen Dank«, sagte sie und öffnete weitere Briefe – Kreditkarten-Angebote, Bitten um Beiträge für wohltätige Zwecke, die Abwassergebühren-Rechnung.
Schließlich erklang noch eine Stimme.
»Hey, Sam, ich bin’s, Dad.« Sam
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