Pallieter
durch den Garten, das klang wie auf einem Schilfrohr geblasen. Das war Pallieter, der eine Hoboe spielte und mit Mariechen herangewandelt kam.
Am Springbrunnen angekommen, unter den Mariechen die Hand hielt, um die Wasserperlen aufzufangen, nahm Pallieter das Instrument vom Munde und sagte zu ihr:
»So, jetzt laß dich einmal ordentlich betrachten!«
Er legte die Hände auf ihre runden Schultern und betrachtete sie vom Kopf bis zu den Füßen. In ihrem rotbäckigen Antlitz perlten zwei große, braune Augen mit einem feurigen, schwarzen Stern darin, die apfelroten Lippen standen hoch unter der feinflügeligen Nase, und in ihrer rechten Wange war ein Grübchen, wenn sie lachte. Ihr Kinn bog sich begehrlich nach vorne, und der milchweiße Hals war rund und zart, daß man hätte hineinbeißen mögen. Ihre jungen, noch aufrecht stehenden Brüste saßen hoch, und ihre Hüften waren rund. Sie hatte dunkelbraunes Haar und samtweiche Hände. Ach, wie schön sie war! Über ihrem ganzen Wesen lag der Atem der freien Luft und die junge, frohe Lebenskraft der großen Natur. Sie stand da, so natürlich wie Wasser, und ihr Antlitz war wie ein offenes Buch. Es war Milch und Brot.
Und die Sonne schien rot durch ihre Ohrmuscheln und tüpfelte Lichtkringel in ihr Haar. Und Pallieter sagte:
»Dir fehlt nix wie Flügelchen.«
Sie lachte mit blitzenden Zähnen und sah auf ihre Schuhe. Und Pallieter betrachtete sie weiter und fühlte einen Stoß in seinem Herzen vor Verlangen. Und sie hob den Kopf wieder und sagte:
»Spiel noch ein Liedchen!«
Er spielte wieder, und sie gingen zusammen weiter.
Da brach auf einmal lautes Glockenläuten los. Und Pallieter rief: »Da is sie, da is sie! Kommt, Leute!«
Und jeder beeilte sich, um an der Tür zu sein.
Während sie sich hinter den geschmückten Tisch stellten, zündete Pallieter die Kerzen an und streute Blumen und geschnippeltes Papier auf den Weg.
Hinter den treppenartigen Giebelchen der Häuser kam ein langsamer Trommelwirbel, ein Paukenschlag und dann ein feierlicher Festmarsch von Blechmusik hervor.
»Da is sie!« riefen die Kinder und die Leute, die aus der Stadt gekommen waren, um sie zu sehen, und stellten sich auf den Rasen zwischen den hohen Baumstämmen, den blonden Weg freilassend.
Die Bäuerinnen holten den Rosenkranz aus der Tasche und fingen an zu beten.
Und da schritt, aus dem breiten Tor heraus, die Prozession auf den schattigen Beginenwall.
Den Zug eröffnete der lange Küster Lamdieke, in roter Soutane und weißem Chorhemd. Das Licht glänzte auf seinem flachen Glatzkopf, über den eine dünne schwarze Haarsträhne gekämmt war. Er schleppte ein hohes, hageres Kreuz und schlug die Augen nieder.
Neben ihm marschierten gleichgültig zwei Chorknaben, die jeder einen schweren silbernen Leuchter mit einer brennenden Kerze trugen. Die Waisenmädchen aus dem Marollenkloster folgten in drei langen Reihen: sie trugen ehrbare schwarze Kleider, über denen ihre Gesichterchen, mager und bleich vom Immer-im-Haus-Sitzen, mit gleichmäßig abgeschnittenem Haar furchtsam herausguckten. Es waren arme Dingerchen von noch nicht fünf Jahren dabei, und sie hatten ebenso demütig wie die Großen die Augen niedergeschlagen. Es waren viele Kinder von versoffenen Vätern darunter. Neben ihnen, in weiten schwarzen Mänteln und weißen Hauben mit breiten, schwingenden Flügeln, schritten die strengen Marolien. Sie waren alle mager und aufrecht, nur die Mutter Oberin war ein Fettklümpchen.
Hinter ihnen kam ein stämmiger Bauer in roter Soutane, der die blaue Fahne von Sankt Begga trug. Und dann eine blendende Fülle von Mägdlein, lauter kleine Kinder in schimmerndem Weiß, mit Fähnchen und goldenen Füllhörnern, strotzend von Blumen, Kornähren und wohlriechenden Kräutern.
Die Freude glänzte auf ihren Gesichtern, und stolz stapften sie mit steifen Beinchen nach dem Takte der Musik, und die gestärkten weißen Röckchen rauschten wie ein Meer.
Die Musikanten waren alte Burschen, sie bliesen, so laut sie konnten, und ihre Kleider rochen nach dem Schrank.
Dann folgten vier stämmige Jungfern in weißen Kleidern, deren Ärmel viel zu lang waren. Sie trugen gemeinsam auf einer Bahre, die mit lederbeschlagenen Stangen auf ihren Schultern ruhte, ein blaugemaltes Marienfigürchen, so groß wie ein Daumen. Es war zur Zeit der Spanier hier angespült worden und wurde nun verehrt, wohl vierzig Stunden in der Runde, für die Wechseljahre.
Es war die »honigsüße Magd Marie aus Holland
Weitere Kostenlose Bücher