Pan Tau
Melone und fuhr mit dem Finger am Hutrand einmal nach links und einmal nach rechts. Im gleichen Augenblick hatte er sich in einen winzig kleinen Pan Tau verwandelt, der, an seinem aufgespannten Regenschirm hängend, über die Dächer der Häuser hinwegschwebte.
Vivians Märchen geht weiter. Weihnachten ist das Fest der Stille und des Friedens
Mupy Mup, wiederholte Emils Vater vergnügt die zwei russischen Wörter, die er auf dem Poststempel entdeckt hatte, und schraubte dabei den Ständer für den Weihnachtsbaum zusammen. Weihnachten ist das Fest des Friedens. Jawohl, Friede der Welt, recht so! Die Leute sollen einander lieben. Auf dem Herd soll Weihrauch duften. Aus dem Radio sollen innige Weihnachtsweisen klingen und...
Aaaauuuaaach! heulte auf dem Balkon Alik-Nikolaus so verzweifelt, daß dem Vater der Schrecken in die Glieder fuhr und er sich den Zeigefinger der linken Hand im Ständer einklemmte. Seine stillen Betrachtungen fanden ein jähes Ende. Statt Kommet ihr Hirten dröhnte es plötzlich im Radio zum Saxophon Ja, wenn die Liebe nicht war’, und durchs Zimmer ging verträumt die Tochter Renate, wie immer verliebt, diesmal in den Fotografen Martin, der oben im Mansardenzimmer wohnte. Hinter sich zog sie das Kabel des Staubsaugers her. Der Staubsauger brummte und saugte die Nadeln von den unteren Zweigen des Christbaums ab, der auf dem Teppich lag, und aus dem Radio brüllte es schon wieder Ja, wenn die Liebe nicht wär’.
Der Vater schaltete es aus. Er sagte:
»Wird hier endlich Ruhe sein?«
Es wurde nicht Ruhe. Es plätscherte Wasser. Im Nu hatte der Vater den Finger vergessen, der ihm sehr weh tat. Auch an den Christbaum dachte er nicht mehr. Er stürzte ins Vorzimmer. Alles war klar. Durch die Ritze der Badezimmertür drang Wasser.
»Emil, was treibst du mit dem Karpfen?«
»Wir spielen, Vati!« sagte Emil. Er konnte gerade noch seinen Finger aus dem Maul des Karpfens ziehen, da hatte ihn die väterliche Hand schon aus dem Bad gezerrt, durch Vorzimmer und Küche geschleppt und in der Speisekammer eingesperrt.
Der Vater atmete auf. Zur erstaunten Mutter sagte er:
»Wird hier jetzt endlich Ruhe sein!«
Wieder begann er sich auf Weihnachten zu freuen. In der Küche duftete es nach Ingwer, Vanille und Nüssen. Unter den Fenstern glitzerte der Schnee. Alles war klar und übersichtlich. Der Karpfen schwamm in der Wanne. Der Hund war auf dem Balkon. Sohn Emil schluchzte in der Speisekammer. Opa baute die Krippe von Bethlehem auf. Tochter Renate hatte den Staubsauger weggeräumt und wischte die Türklinken blank. Mutter buk Vanillekipfel.
»Du solltest Emil wieder rauslassen!«
»Mach’ ich, Mutter«, versprach Vater, milde gestimmt. »Ich will nur noch den Christbaum aufstellen. An seine Spitze stecke ich den goldenen Stern und den Engel mit dem Spruchband Friede allen Menschen, die guten Willens sind. Von oben runter Silberketten. Und bunte Wunderkerzen. Es wird ein sehr schöner Christbaum sein. Ich habe drei Schachteln mit bunten Wunderkerzen.«
Emil hatte sich indessen beruhigt. Schon den ganzen Tag hatte er überlegt, wie er in die Speisekammer kommen könnte. Nun war er da. Überall standen Schüsseln mit guten Sachen, und Zeit hatte er genug. Er schluchzte noch ein paarmal auf, nicht oft, nur damit ihn Vater und Mutter hören konnten. Dann begann er, die goldgelb gerösteten Mandeln von dem Weihnachtsstollen zu klauben. Dann machte er sich über den Kartoffelsalat und die Erdnüsse, und schließlich entdeckte er im Regal eine Dose mit süßsauren Gurken. Nachdem er zwei Gurken vertilgt hatte, schluchzte er wieder auf. Anstandshalber.
»Wann darf ich endlich raus?« Mit vollem Mund wollte er noch sagen: Ich hab nichts angestellt, Mutti! Doch er sagte nichts und riß nur die Augen auf. Das Fenster der Speisekammer war plötzlich hell erleuchtet. Musik ertönte, und durch den dunklen Lichtschacht schwebte, am aufgespannten Regenschirm hängend, ein Männchen mit Melone herab, immer näher kam es, bis es sich auf dem Fensterrahmen niederließ und seinen kleinen schwarzen Regenschirm zuklappte.
Als das Männchen seinen kleinen schwarzen Regenschirm zuklappte, war es so groß wie Emils Faust und noch eine halbe dazu. Die schwarze Melone, nach der es griff, war so groß wie zwei Nägel des Zeigefingers. Doch die Zauber-Melone, die Pan Tau berührt hatte, um die Zauber-Geste zu machen, wuchs, bis sie so groß war wie eine große Melone. Und Pan Tau wuchs, bis er so groß war wie der
Weitere Kostenlose Bücher