Pan Tau
fünften A und der fünften B, aber auch die aus der dritten B drängten sich in die Autobusse, die ins Gebirge abfuhren. An der Haltestelle blieb jedoch die dritte A mit ihrem traurigen Klassenlehrer, Herrn Radetzky, einsam zurück. Herr Radetzky konnte ausgezeichnet Rachmaninoff auf dem Klavier spielen, sich aber in einen Autobus zu drängen, das brachte er nicht fertig. Mit seiner Zipfelmütze sah er wie ein Gartenzwerg aus. Traurig zählte er seine Schüler und...«
Die Lokomotive pfiff. Uns pfiff der Wind um die Ohren. Die Minieisenbahn steigerte ihre Geschwindigkeit. Das Karussell, der Walfisch, die Geisterbahn, die Bäume der Praterallee blieben zurück; in einem weiten Bogen fuhren wir am mächtigen Betonbau des Praterstadions vorbei.
»Plötzlich stand ein winziger Autobus da! Hinterm Steuer saß Pan Tau. Alle Jungen aus der dritten A und der Gartenzwerg stiegen ein. Es war ein richtiger Zauberautobus, mit einer Klingel über dem Steuer und einem Globus neben dem Schalthebel. Als jemand an diesem Globus drehte, waren sie alle auf einen Schlag samt dem Autobus in Afrika. Affen hopsten über die Sitze, und die Jungen zogen sich ihre Pullover aus, um Bananen zu pflücken, und...«
»Warum ausgerechnet in Afrika?«
»Weil der Globus in die falsche Richtung gedreht wurde«, sagte Vivian und strich sich über ihr zerzaustes Haar. »Man brauchte bloß den Globus zurückzudrehen, und schon waren sie nicht mehr in Afrika, sondern im Gebirge. Samt dem Autobus. Emil schwört zumindest, daß es sich so abgespielt hat. Erst lange nach ihnen kamen die übrigen Autobusse mit den Jungen aus der dritten B, der vierten A und B, der fünften A an und...«
»Ist das alles?«
»Beinahe.«
Endstation. In einer großen Schleife waren wir wieder zum Wurstelprater zurückgefahren. Wir stiegen aus. Vivian schleckte ihre rosa Watte zu Ende.
»Vielleicht fällt mir noch etwas auf der Achterbahn ein«, sagte sie.
»Wie Pan Tau, Emil und die Jungen aus der dritten A das Skirennen hätten gewinnen können, weil überall auf den Bäumen entlang der Piste Bonbons, Torten und Schokolade hingen und die Jungen aus der dritten B, der vierten A und vierten B, aus der fünften A und fünften B ihre Skier abschnallten und auf die Bäume kletterten. Tatsächlich aber kletterten auch Emil und die anderen aus der dritten A auf die Bäume, und niemand gewann das Rennen. Ich sagte schon, es wird ein sehr kurzes Märchen, Anderson!«
Ich atmete auf. Die Achterbahn begann sich mit uns in die Tiefe zu stürzen. Dann stieg sie mit höllischem Lärm in die Höhe. Oben wurde sie für einen kurzen Augenblick etwas langsamer. Ich genoß die Aussicht. Unter uns war der Prater. Bei der Horoskop-Bude stand ein Mann mit Melone. Er blickte zur Achterbahn empor. Bevor er sich umdrehte und davonging, hob er die Melone und winkte mit ihr wie zum Gruß.
»Haben Sie ihn gesehen?« rief ich Vivian zu, aber sie hörte mich nicht. Sie hielt die Augen geschlossen und hatte ganz schön Angst. Während der ganzen Fahrt.
Über der Horoskop-Bude war die Aufschrift:
Das erwartet Sie! Dem entgehen Sie nicht!
Neben der Bude saß auf einer kleinen Stange ein grüner Papagei. Er sah uns genau an, dann fischte er mit dem Schnabel ein Briefchen aus einer Schachtel. Ich öffnete das Briefchen und las:
Das Ende ist im Anfang wie der Fisch im Meer, der Fingerring im Fisch und der Stein im Fingerring. Ihre Glücksfarbe ist Grün. Ihr Glücksstein ist der Smaragd. Ihre Glückszahl ist die Neun.
»Verstehen Sie das?«
»Nein. Übrigens, wieviele Enden hat ein Ring?« Vivian lachte. »Jetzt schieße ich Ihnen aber einen Spiegel. Das habe ich versprochen.«
Das dritte Kapitel. Fleming hat nur drei Streichhölzer gewonnen und etwas Neues gehört. Vivian fährt mit mir nach Holland. Sie beginnt eine sehr lange Geschichte zu erzählen.
»Ich habe nur drei Streichhölzer gewonnen«, sagte Fleming, als Vivian und ich aus dem Prater zurückkamen. »Das Blatt hat sich gewendet. Siebenundfünfzigmal war Opa der Sieger. Macht nichts. Beim Spielen erfährt man eine Menge interessanter Dinge. Ich habe fantastische Nachrichten für Sie. Aber setzen Sie sich lieber! Pan Tau war zu Weihnachten hier. Er hat dem Opa Schäfchen für die Krippe von Bethlehem gezaubert. Ein kleiner Christbaum ist bis zur Zimmerdecke emporgewachsen und hat sich mit der Spitze ins Mansardenzimmer durchgebohrt.«
Ich sah die Lachfünkchen in Vivians grünen Augen. Dann verschwanden sie.
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