Pan Tau
griff, leicht auf sie trommelte und dann mit den Fingern am Hutrand einmal nach links und einmal nach rechts fuhr.
Der Schlüssel in der Speisekammertür drehte sich im Schloß. Nur so. Von allein. Das war der ganze Zauber.
»Wie du willst«, sagte Emil enttäuscht, »doch hätte ich die Zaubermelone...« Er überlegte eine Weile, was er zaubern würde. »Ich würde mich unsichtbar machen. Und Alik-Nikolaus, der draußen am Balkon friert, sollte zu mir fliegen. Und auch unsichtbar sein.« Kaum hatte Emil ausgesprochen, trommelte Pan Tau auf seine Melone, denn beide Zauber gefielen ihm. Schnell öffnete er die Speisekammertür und ging mit dem unsichtbaren Emil und dem unsichtbaren Alik in die Küche, wo die Mutter Vanillekipfel buk. Eine Weile sah er ihr zu. Er war außerordentlich neugierig. Noch nie hatte er erlebt, wie man Vanillekipfel bäckt. Auch nicht, wie man die Krippe von Bethlehem aufstellt. Der Opa schüttete Papierschnee auf die Dächer von Bethlehem, auch auf die Hirten und die Heiligen drei Könige. Dabei flüsterte er:
»Sie sind gegen mich! Alle in dieser Wohnung. Eine Verschwörung ist das! Sie nehmen mir die Schäfchen weg. Voriges Jahr hatte ich acht Schäfchen, jetzt habe ich nur sechs!«
Pan Tau beschloß, dem Opa zu helfen. Er half auch der verliebten Renate, die eine Grammophonplatte mit dem neuesten Hit von Jimmy Hendrix in Seidenpapier wickelte, ein Geschenk für Martin, der ein Stockwerk höher wohnte. Sie war sehr traurig, denn sie wußte nicht, wie sie es Martin geben sollte, ohne daß der Vater etwas davon merkte.
»Schau ihn dir an!« flüsterte der unsichtbare Emil, als er mit Pan Tau durch das große Zimmer ging, wo unter dem ungeschmückten Christbaum der Vater mit dem Rennauto Marke Lotus spielte. »Völlig klar! Er hat mich in die Speisekammer gesperrt, damit er mit dem Auto spielen kann, das er mir unter den Baum legen will! Nicht wegen des Karpfens! Ich und Tiere quälen! Wenn’s nach mir ginge, könnte der Karpfen in der Wanne bleiben; mit ihm kann man besser spielen als mit einem U-Boot zum Aufziehen. Aber Vati wird ihn bald mit dem Fleischklopfer erschlagen, und Mutti macht ihn auf Blau oder paniert ihn und kocht Suppe aus ihm.«
Das Wasser spritzte hoch. Aus der Tiefe der Wanne tauchte der Karpfen empor. Er hatte alles gehört und blickte mit seinen Glotzaugen Pan Tau flehentlich an. Paniert, auf Blau oder gar zu Suppe gekocht zu werden, das freute ihn gar nicht. Er hatte auch keine Lust, sich mit dem Fleischklopfer erschlagen zu lassen. Pan Tau verstand das. Er wollte dem Karpfen helfen, wie auch dem Opa und Renate. Er wußte nur noch nicht, wie. Und für langes Kopfzerbrechen war keine Zeit mehr. Denn eben sagte die Mutter, als sie die Speisekammer offen vorfand: »Du hast Emil rausgelassen, Vater?«
Pan Tau berührte also zum drittenmal seine Melone und zauberte sich und den unsichtbaren Emil schnell wieder zurück in die Speisekammer. Die Zeit reichte gerade noch, den unsichtbaren Emil in einen sichtbaren Emil und den unsichtbaren Alik-Nikolaus in einen sichtbaren Alik-Nikolaus zu zaubern.
Der Mutter schlotterten die Knie. Plötzlich glaubte sie an Hexerei und Zauber. Wie aus dem Boden gestampft stand Emil in der Speisekammer zwischen Weihnachtsstollen und Kartoffelsalat und machte ein Märtyrergesicht, als ob er hier schon seit hundert Jahren und einem Tag eingesperrt wäre. Alik-Nikolaus stieg indessen auf den Küchentisch und machte sich über die Linzertorte her.
»Wer — wer hat ihn reingelassen?«
»Ich nicht«, sagte Emil. »Ich war doch die ganze Zeit in der Speisekammer eingesperrt.«
»Ich auch nicht. Ich habe ja den Christbaum geschmückt«, sagte der Vater, warf den Hund wieder auf den Balkon hinaus und schloß die Tür hinter ihm zu. Mit einem traurigen Blick auf den Christbaum sprach er: »Alles muß ich selber tun!«
Die Zeit eilte dahin. Das Weihnachtsmahl rückte näher. Entschlossen krempelte der Vater die Hemdsärmel hoch, holte den Fleischklopfer und trat ins Badezimmer. Sorgfältig schloß er die Tür hinter sich zu, ließ aber sofort den Fleischklopfer aus der Hand fallen, denn aus der Tiefe der Wanne fragte ihn mißtrauisch eine kreischende Stimme:
»Wozu brauchst du den Fleischklopfer?«
Der Vater sah sich um, beruhigte sich wieder. Niemand war da, nur er und der Karpfen.
Ich habe mich wohl verhört, sagte er sich, so was kann vorkommen. Er bückte sich nach dem Fleischklopfer, und schon wieder hörte er aus der Tiefe der Wanne
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