Pan Tau
die argwöhnische Stimme:
»Ich sehe dich!!!«
Es war der Karpfen. Er sprach. Er sprach nicht besonders gut, aber immerhin, er sprach. Ein wenig stieß er mit der Zunge an.
»Faß Alberrrrrt nicht an! Ich beiß’ dich!«
Der Vater ließ den Fleischklopfer Fleischklopfer sein. Bevor er aus dem Badezimmer taumelte, nahm er drei Aspirin. Für einen kurzen Augenblick schien es ihm, er schwebte mit Flügeln im Vorzimmer, und hinter ihm segelte Alik-Nikolaus durch die Luft und sänge dabei mit falscher Stimme Weihnachtslieder. Der Vater schloß die Augen. Als er sie wieder öffnete, waren die Flügel verschwunden. Was er nun sah, war noch schlimmer. Durchs Vorzimmer schritt ein Herr mit Melone. Hinter dem Herrn mit Melone trabten zwei Schäfchen mit Klingelglöckchen. Zum zweitenmal schloß der Vater die Augen. Als er sie wieder öffnete, war der Herr mit Melone nicht mehr da.
Nach dem Hund, der durch die verschlossene Balkontür in die Küche gekommen war, dem sprechenden Karpfen und dem Herrn mit Melone kamen dem Vater die Schäfchen wie ein schöner Traum vor. Der grüne Teppich im Vorzimmer glich plötzlich einer sonnenbeschienenen Wiese, und der Vater begann sich aufs Frühjahr zu freuen, weil ihn dann niemand zwingen würde, den Weihnachtskarpfen zu erschlagen und den Christbaum zu schmücken. Er zog die Unterwasser-Harpune aus dem Schrank und sah den Schäfchen nach, die mit sanftem Bähbäh ins große Zimmer trabten.
»Opa, die Schäfchen!«
»Welche Schäfchen?«
»Die zwei Schäfchen!«
»Meine Schäfchen? Aus Bethlehem?« Der Opa war hocherfreut. Den ganzen Nachmittag hatte er die verlorenen Schäfchen gesucht, und nun waren sie da. »Wo denn?«
»Sie sind hier vorübergetrippelt. Ins Zimmer. Mit bimmelnden Glöckchen.«
»Was für Glöckchen?«
»Glöckchen an rosa Bändchen!«
Der Opa verstand nun gar nichts mehr. Er glaubte aus dem Badezimmer, in das der Vater mit der Harpune gegangen war, streitende Stimmen zu hören.
»Fehlt dir nichts?« rief er. »Mit wem redest du dort?«
»Mit wem soll ich reden, wenn ich hier allein bin? Ich bin doch nicht verrückt«, sagte etwas ermattet der Vater. Er schob den neugierigen Opa aus dem Badezimmer und schloß wieder die Tür. Rachsüchtig sprach er zum Karpfen:
»Und nun kommst du dran, Albert!«
Er trat zur Wanne.
Die Harpune hielt er hinter dem Rücken verborgen.
»Zeig mir deine Hände!« kreischte der Karpfen Albert. Er vergaß sogar mit der Zunge anzustoßen. »Was hast du jetzt wieder?«
»Sei doch nicht so nervös!«
Der Vater beschloß, im guten mit dem Karpfen Albert fertigzuwerden. Er legte die Harpune übers Waschbecken und zeigte ihm die leeren Hände. Sogar die Tür zum Vorzimmer öffnete er. »Guck doch, nirgends ist etwas! Dort ist der Opa. Er sucht im Schrank die Figuren für die Krippe. Selbstverständlich weißt du nicht, was die Krippe von Bethlehem ist. Auch nicht, daß wir Weihnachten, das Fest des Friedens auf Erden, feiern. Ich will dir alles erklären. Wir werden ein wenig miteinander spielen...«
Der Karpfen Albert war ein vertrauensseliger Karpfen. Er glaubte alles, was man ihm erzählte. Um ja recht viel zu erfahren, steckte er den Kopf aus dem Wasser. Das war der richtige Augenblick für den Vater, endlich zu handeln. Heuchlerisch sagte er: »Albertchen! Fischlein!«
Und er griff unauffällig nach der Harpune. Die Hand rutschte ihm aus. Ein Finger berührte den Abzug. Ein Zischen. Der Opa schrie auf. Die Harpune war durchs Vorzimmer geflogen und hatte sich in die Schachtel mit dem Jesuskind gespießt.
»Pfui!« Der Karpfen Albert stotterte vor Aufregung. »Au-auf den O-O-O-Opa sch-sch-schießen!« Und schon war er im Wasser untergetaucht.
Der Vater gab auf und ging den Christbaum schmücken. Renate, die auf den Balkon hinaustrat, um die Schallplatte mit dem Hit von Jimmy Hendrix per Luftpost von Balkon zu Balkon dem Fotografen Martin zu schicken, sagte zu Emil, der wie ein Schatten hinter ihr erschienen war:
»Warum spionierst du mir nach? Suchst du etwas?«
»Den Herrn mit Melone«, antwortete der Junge sauer. »Und die Schäfchen.«
Sie waren verschwunden.
Desgleichen Pan Tau.
Wie alles gut zu Ende ging.
Es dämmerte. In der Stadt leuchteten die Neonlichter auf. In ihrem Schein glitzerte rötlich und bläulich der Schnee. Der Vater hatte die unteren Zweige des Christbaums bereits geschmückt und schaltete das Radio ab, das Ja, wenn die Liebe nicht war ’ spielte. Aber das Lied war immer noch zu hören,
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