Panic
erwischte mich drei Meter vom Flussufer entfernt. Er warf sich nach vorn und packte mich am Knöchel. Ich fiel mit der verletzten Schulter ins tote Geäst eines umgestürzten Baums. Wieder fuhr mir der Schmerz durch den ganzen Körper.
Da regte sich meine eigene Kraft, reagierte, nährte sich aus der seinen und hielt dagegen. Ich schlug mit dem freien Bein nach hinten aus und traf ihn mit der stahlverstärkten Stiefelspitze am Ohr. Als er seinen Griff lockerte, holte ich erneut aus und trat ihm das Messer aus der Hand. Rutschend und stolpernd kämpfte ich mich auf allen vieren voran, versuchte mich wieder aufzurichten.
Das zweite Mal erwischte er mich unmittelbar am Wasser, wo er mir mit beiden Fäusten einen Schlag zwischen die Schulterblätter verpasste, dass mir die Luft wegblieb. Ich stürzte vornüber in den Schnee, und er warf sich auf mich, nagelte mich zu Boden, gleich neben dem dünnen Eis.
»Weißt du, wer ich bin?«, sang er in dieser heiseren Stimme. »Weißt du, wer ich bin?«
Er rollte mich auf den Rücken und legte mir beide Hände um den Hals.
»… Tod«, würgte ich heraus, als ich in seine leeren Augen starrte.
Da glühte sein Gesicht in unsäglicher Verzückung, und er drückte mir mit den Daumen die Luftröhre zu.
Noch einmal regte sich meine eigene Kraft, und ich bäumte mich gegen ihn auf und schlug ihm mit dem gesunden Arm ins Gesicht. Er zuckte mit keiner Wimper, drückte nur immer fester zu und sang dabei für seinen Gott Tatewari. Da versickerte meine Kraft wie Wasser in getauter Erde. Ein Nimbus – in der Mitte schwarz und gleißend weiß am inneren Rand – umstrahlte seinen ganzen Körper. Es war, als blickte ich auf das Negativ einer Gegenlichtaufnahme.
Ich hörte auf, ihn zu schlagen, und mein Arm fiel an meine Seite, auf einen länglichen, kalten, zylindrischen Gegenstand. Er sang lauter. Ich hörte, wie er Kauyumari anrief, den Hirschgott, und Keili und Peyote. Ich spürte, wie der letzte Rest von mir auf seine Finger zuglitt und es dunkel wurde.
Ich akzeptierte die hereinbrechende Dunkelheit und ging darauf zu. Als ich gerade im Begriff stand, in die Nacht einzutreten, bemerkte ich weit hinter mir, dass das Singen aufgehört hatte. Ryan hatte den Druck um meinen Hals gelockert.
Ich würgte, hustete, spuckte. Er kniete noch immer auf mir, hatte noch immer die Hände um meinen Hals. Die mörderische Wut jedoch, die ich im Gesicht des wahnsinnigen Huichol-Zauberers gesehen hatte, war daraus verschwunden. Stattdessen sah ich den verzweifelten, einsamen Menschen, den ich in meiner Halluzination erlebt hatte. Ryan betrachtete zärtlich das Bild, das ich mir an die verwundete rechte Brust gesteckt hatte. Mittlerweile hatte der Schnee das Blut fortgewischt. Er nahm die Hände von meinem Hals, streichelte das Bild und murmelte: »Lizzy. O Lizzy, du fehlst mir so.«
Ich spähte nach links. Mein gesunder Arm lag auf einem Stück Treibholz, von Eis überzogen, etwa fünfundvierzig Zentimeter lang und so dick wie mein Handgelenk. Ich umschloss es mit den Fingern und wandte ihm erneut den Blick zu, gerade als er mich wieder wahrzunehmen begann. Seine Miene verzerrte sich.
Mit allerletzter Kraft holte ich aus, wunderte mich über den schwarzen Blitz, der mich durchzuckte, als ich den Stock seitlich auf Devlin Ryans Schädel krachen ließ und ihn zertrümmerte. Jetzt war ich es, die der schwarze, schimmernde Nimbus umhüllte. Jetzt war ich das Negativ, der Tod, der Gestaltenveränderer, der Krafträuber.
Ryan taumelte eine Sekunde lang, im Schlaglicht einer jähen Finsternis. Das Licht schwand aus diesen Augen, die noch immer auf seine Frau gerichtet waren. Dann brach er zusammen, rollte in den Schnee und krachte durch das Eis in den Dream River.
April
Ich komme jetzt oft zum Friedhof, auf dem meine Eltern und Mitchell begraben sind. Er befindet sich auf einer Insel im Penobscot River, fünfzehn Kilometer nördlich von Old Town. Man muss ein Kanu besteigen, um überzusetzen, und in letzter Zeit war das Wasser tief und reißend wegen der Schneeschmelze und der vielen Regenfälle im Frühling; ich war gezwungen, ziemlich weit stromaufwärts zu starten und mich dann von der Strömung hinüber zur Insel treiben zu lassen.
Ich bin schon sechsmal drüben gewesen, seit der Fluss wieder passierbar ist; am Freitagabend fahre ich den weiten Weg von Boston nach Bangor, um am Samstag schon im Morgengrauen hinüberzurudern. Ich habe kein Problem damit, ihre Welt zu betreten und wieder
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