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Papa

Papa

Titel: Papa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven I. Hüsken
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Gesicht. Hier war gar nichts. Nichts! Der Hinweis in Grafs Haus war ein Witz gewesen. Hier gab es nur Zerfall. Eine alte Hütte und Unrat.
    Michelle erhob sich zitternd und schwach, streckte die Arme in die Luft und schrie. Sie schrie so laut, als hoffte sie, die Götter auf sich aufmerksam machen zu können.
    Regen prasselte auf sie nieder und schwemmte jegliche Wärme aus ihrem Körper.
    Niemand kümmerte sich um sie. Niemand ließ sich von der Suche ablenken. Nicht einmal Robert Bendlin, der vor der Hütte stand und nachdenklich aussah.
    Als das letzte bisschen Kraft aus Michelle verströmt war, sackte sie zusammen. Ihr Knie ließ die Scheibe des Fensters unter ihr zersplittern und drückte auf eine Plane darunter.
    Michelle hätte dort Waldboden erwartet, doch ihr Knie hing in der Luft, nur von einer Plastikfolie gehalten.
    Ohne zu überlegen, stand sie auf und riss am Fenstergriff.
    Es klemmte. Ließ sich kaum bewegen.
    Michelle zerrte daran, als wollte sie die ganze Welt entzweireißen. Schließlich schwang das Fenster wie eine Tür auf und gab den Blick frei auf ein Loch.
    Sofort war Robert Bendlin zur Stelle und leuchtete hinein.
    Da lag sie.
    Michelle presste eine Hand vor den Mund und schluchzte.
    Am Boden kauernd und in eine Decke gehüllt.
    Ihr Mädchen.
    Dort unten lag Lilly.
    Die nächsten Minuten vergingen wie in Trance.
    Bendlin schrie etwas, Michelle wurde zur Seite gedrängt, und Sanitäter eilten herbei. Blaulicht flackerte. Ein paar Polizisten bauten eine provisorische Leiter, Taschenlampen blendeten sie, und Bendlin ließ es sich nicht nehmen, selbst in das Loch zu steigen.
    Er holte den leblosen Körper zurück in die Welt. Die Sanitäter und ein Arzt legten Lilly auf eine Liege. Einer der Polizisten, ein Mann namens Zellinger, hielt Michelle fest. Doch in dieser Welt gab es keine Kraft, die Michelle hätte zurückhalten können.
    Sie riss sich los und rannte zu der Liege.
    »Aus dem Weg!«, schrie der Arzt und wickelte Lilly aus der Decke. Ihre Augen waren halb geschlossen, und der Mund war geöffnet.
    Der Regen wurde immer schlimmer. Michelle ließ sich neben sie in den Schlamm fallen, nahm ihren Kopf in die Hand und streichelte zärtlich ihre Wange. Doch ihr Mädchen rührte sich nicht.
    Im Hintergrund schraubte sich ein Pfeifen in die Höhe. Der Arzt riss Lillys Bluse auf und legte ihre kleinen Brüste frei. Ein Sanitäter schob ihr einen Tubus in den Mund.
    »Zurück jetzt.« Der Arzt setzte einen Defibrillator an und begann mit der Reanimation.
    Das Knallen der Elektroden dröhnte wie Pistolenschüsse in Michelles Ohren.
    Sie waren zu spät. Sie hatten Lilly gefunden, und doch waren sie zu spät. Eine Hand legte sich auf Michelles Schulter. Robert Bendlin stand wortlos über ihr.
    Lillys kleiner Körper zuckte unter den Stromstößen, die der Arzt auf sie einprasseln ließ.
    Er ging ruppig mit ihr um, daher nahm Michelle die Bewegungen zuerst nicht wahr. Aber als der Arzt den Defibrillator zur Seite legte und sich Lillys Kopf immer noch bewegte, glaubte Michelle, einen Herzinfarkt zu bekommen. Lilly öffnete ihre Augen.
    Michelle riss den Mund auf, schluchzte und robbte durch den Schlamm hin zu ihrer Tochter. Sie schlang die Arme um Lilly, die zerbrechlich wie Glas wirkte. »Mein Schatz. Lilly. Mein Baby. Ich habe dich wieder. Meine Kleine.« Sie drückte sie an sich, überhäufte sie mit salzigen Küssen.
    »Mama!« Lilly war kaum zu hören. Ihre Stimme war schwach.
    Michelle streichelte ihrer Tochter über den Kopf.
    »Lass mich nicht mehr los, Mama! Bitte! Halt mich fest. Ich will nicht mehr in das Loch.« Lilly schloss die Augen.
    Die Sanitäter hoben die Trage an und brachten Lilly in den Krankenwagen.
    »Keine Sorge«, der Arzt legte Michelle eine Hand auf den Arm. »Sie ist stark dehydriert, aber ich denke, sie wird es schaffen. Sie ist eine Kämpferin.«
    »Wie ihre Mutter«, sagte Robert Bendlin und nahm sie in den Arm.
    »Wenn es Ihnen nichts ausmacht«, sagte der Arzt weiter, »wäre es gut, wenn Sie ein paar Sachen packen würden und mit ins Krankenhaus kämen. Ihre Tochter wird jetzt viel Unterstützung und Nähe brauchen.«
    Michelle zog die Nase hoch und nickte.
    »Kommen Sie, Michelle«, Bendlin führte sie zu dem Weg, den der Krankenwagen gekommen war. »Ich bringe Sie zurück, und dann fahren wir zu Ihnen nach Hause. Lilly wird noch eine ganze Weile schlafen. Zeit genug, um zu duschen und ein paar Sachen zu packen. Ich helfe Ihnen dabei.«
    Michelle nickte nur.
    Am Ende

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