Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Papa

Papa

Titel: Papa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven I. Hüsken
Vom Netzwerk:
dass kein Licht durchdringen konnte. Getrocknetes Blut klebte an den Wänden und unter der Decke. In einer Ecke stand ein Baustrahler.
    Vorsichtig näherte sich Robert dem
Ding
in der Mitte des Raums.
    Auf einer Stange aufgespießt stand das, was von einem Menschen übrig geblieben war. Bis auf den Arm fehlte jegliche Haut, und Trauben von Maden fraßen sich durch das dunkle Fleisch.
    Bauch und Brust des Mannes waren wie bei Maik von oben nach unten aufgeschlitzt. Rieds Innereien hingen über seinem Kopf in einem Drahtgeflecht, drapiert wie die Äste eines Baumes. Die abgezogene Haut lag in Streifen, zum Teil aufgeworfen, rings um die Füße der Leiche.
    Ein Drahtgewirr ragte etwa einen halben Meter aus einem von Rieds Augen heraus.
    Robert dachte an die Inszenierung von Maiks Leiche und ignorierte das Stechen in seiner Brust. Für Trauer war keine Zeit. Er schaute sich um, und schließlich blieb sein Blick an einer Werkbank hängen, die etwas abseits stand und daher nicht sofort auffiel.
    Sie war vollkommen leergeräumt. Vollkommen, bis auf … ein Gesicht.
Rieds
Gesicht ohne Augen. Wie eine Halloweenmaske, mit Haaren und Ohren, war es über einen Styroporkopf gestülpt. Es machte den Anschein, als beobachtete Ried seinen eigenen Körper.
    Darüber war eine Fotocollage. Anscheinend hatte Sebastian Fotos von seinen Opfern gemacht, so wie Ried Jahre zuvor. Unter einem Bild von Sebastians Kopf waren jeweils die Hautpartien zu sehen, die den Leichen nicht abgezogen wurden. Der Rumpf von Rieds Mutter, das Bein der Chinesin und die Arme von Maik und Ried. Ein Foto fehlte. Das letzte Opfer saß vermutlich gerade in einem Polizeiauto, hörte auf den Namen Michelle und hoffte auf ein Wunder.
    Zusammen ergaben die Bilder einen neuen Menschen.
    Robert dachte an Sebastians Krankenakte aus der Psychiatrie und ging in Gedanken alle Details noch einmal durch.
    Vielleicht war Sebastian tatsächlich wie ein pubertierender Junge unzufrieden mit seiner Persönlichkeit?
    Ried hatte sich ein Ritual ausgedacht, um ein anderer Mensch zu werden. Doch Sebastian fehlte die Stärke. Niemals hätte er jemandem etwas zuleide tun können. In der Hinsicht hatte Kramme recht.
    Ried war so faszinierend anders. So stark, so animalisch. Herr über Leben und Tod. All das verleibte sich Sebastian ein, kopierte Rieds Ritual und verwandelte sich nach und nach in einen anderen Menschen.
    Robert riss sich von der Collage los und drehte sich um. Gröne stand in der Tür und machte keinerlei Anstalten, ins Zimmer zu gehen. »Du siehst«, murmelte Gröne, der aussah, als wollte er sich jeden Moment übergeben, »ziemlich abstrus, das Ganze.«
    Robert antwortete nicht. Alles hing jetzt davon ab, dass er das Puzzle richtig zusammensetzte. Der Hinweis war hier irgendwo versteckt.
    Die Haut am Arm wies keinerlei Beschädigungen auf. Kein Tattoo, keine Zeichnung. Nicht wie bei den anderen Leichen. Diese Inszenierung sollte nicht auf ein weiteres Opfer hindeuten. Dafür war sie zu anders.
    Er dachte an Maik und das Tattoo auf seinem Arm. Eine Hand, die einen Rorschachtest an die Wand warf. Nein, er korrigierte sich, den
Schatten
eines Rorschachtests.
    Der Raum hier war abgedunkelt, als die Kollegen ihn zum ersten Mal betraten.
    Robert ging zum Lichtschalter und knipste ihn aus.
    »Du kommst auch nicht weiter, was?«, fragte Gröne und verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen.
    Robert achtete nicht auf ihn. Zwei Persönlichkeiten. Gut und Böse. Tod und Leben. Licht und Schatten. Sein Puls schoss in die Höhe. Ja, es konnte nicht anders sein. Er tastete sich zu der Baulampe in der Ecke und schaltete sie ein.
    Das grelle Licht blendete ihn. Gröne hielt sich die Hände vors Gesicht. »Was soll denn der Scheiß?«
    Robert blinzelte, bis er sich an die Helligkeit gewöhnt hatte.
    Die Stimmung in dem Zimmer war mit einem Mal eine völlig andere. War das Licht zuvor weich und warm, war es nun hart und gleißend. Durch die scharfen Konturen der Schatten verlor die Szene an Schrecken. Robert konnte keine Details an der Leiche mehr ausmachen.
    Eben noch stand er in einer perversen und brutalen Welt, und nun bewegte er sich durch eine surreale Landschaft.
    »Mein Gott!«, hauchte Gröne. »Ich sag dann mal dem Chef Bescheid.«
    Robert stellte sich seitlich neben Ried, so dass er selbst nicht vom Lichtstrahl erfasst wurde. Thomas Ried badete im Licht und warf so ein Schattenbild an die Wand. Robert erinnerte sich an ein paar Bilder, die er Jahre zuvor gesehen hatte.

Weitere Kostenlose Bücher