Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)

Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)

Titel: Paperweight: Literarische Snacks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
Vom Netzwerk:
unerschütterlichen Vorrang. Die einzige münzbetriebene Maschine, die ich bisher gesehen habe, war ein Teleskop. In Sidmouth steht das Wort Arkade für eine Ladenzeile, und genau so soll es sein.
    Gestern erfuhr ich, daß es in Sidmouths Hotels durchschnittlich vier Todesfälle pro Woche gibt. Die Hoteliers pflegen die Leichen morgens um zwei aus ihren Hotelzimmern fortzuschaffen, um die Gäste nicht zu beunruhigen. Wenn Sie also in Sidmouth ins Gras beißen, dann beißen Sie erst gegen Abend zu, sonst wird die Wartezeit auf Ihren Sarg lang und kalt.
    Gestern wurde die Stadt in die frühen Dreißiger verpflanzt, für Sidmouth keine ganz so weite Reise wie für die meisten anderen englischen Seebäder. Wir brauchten keine Fernsehantennen zu demontieren, keine gelben Linien am Bordstein zu verbergen und nur entzückend wenigen Einheimischen, die als Statisten eingestellt worden waren, die Haare kürzer zu schneiden.
    Die Silver Band erhielt schicke Uniformen, saß in einem Musikpavillon an der Promenade und spielte »Maid of the Mountains«. Kinder wurden in Matrosenanzüge und lange Flatterhosen gesteckt und erhielten Kescher, mit denen sie durch die Gegend wetzen sollten; es wimmelte nur so von Eseln, Flanellhosen, Badehauben, Strandkörben, Windschutzen aus Segeltuch und Umkleidekabinen. In weiter Ferne tuckerten Rudge-Whitworth-Motorräder und Morris-Cowley-Automobile umher. Es war paradiesisch, einfach paradiesisch unter Roy-Plomley-Seemöwen und einem blauen englischen Himmel.
    Historischen Ausstattungsfilmen wie
Jeeves and Wooster
wird manchmal vorgeworfen, in ihrem sentimentalen Heraufbeschwören eines vergangenen Großbritanniens, mit leuchtenden Farben belebt und mit perfektem steifen Leinen bekleidet, engstirnig und rückschrittlich zu sein. Uns behindere, sagt man, unsere Fixierung auf die dem Untergang geweihte Vergangenheit eines Landes, die es so nie gegeben habe. Die Vergangenheit werde auf eine Schachtel »Quality Street« reduziert.
    Schon möglich, aber ab und zu mag ich Konfekt. Gelegentlich ist eine Schachtel Pralinen ein besseres Geschenk als ein Satz Schraubenschlüssel oder ein Paar Socken. Als Dauerkost zum Kotzen – als Ausnahme eine Köstlichkeit. Aber vielleicht hat mich die Luft von Sidmouth sentimental werden lassen. Ich hoffe es.

So verrückt wie nur möglich
     
    Eine der wichtigsten Aufgaben des Schriftstellers ist die Suche nach dem treffenden Vergleich. Sie versetzt einen zurück in jene Tage, als der ziemlich »moderne« Englischlehrerin der Schule (mit modern meinte man, daß er eine grüne Kordjacke mit Schuppen trug und nicht die traditionelle Tweedjacke mit Kreidestaub) unsere Aufmerksamkeit am allerliebsten auf die »Frische« und »Originalität« von Ted Hughes und seinem Hecht oder von Dylan Thomas und seiner trägen, schwarzen, schlehenschwarzen See mit tänzelnden Fischerbooten lenkte.
    Errötend denkt man daran, wie man selbst sich verzweifelt auf frische Epitheta stürzte: bei »turnschuhschwarzen Gewitterwolken« und »Wangen durchritzt von höllenheißen Tränen« krümme ich mich immer noch vor Scham, obwohl beide damals den warmen Beifall unseres jungen, unkonventionellen Mr Kershaw und ein Paar seiner besten Eins plussen erhielten. Es ist ein Glück, daß wir im Mannesalter dank dem Rettungsanker der Verlegenheit die Sinnbilder, die wir haben (schwarz wie die Nacht, frech wie Oskar, arm wie eine Kirchenmaus), lieber ertragen als zu unbekannten fliehn; als selber den Quatsch mit Soße verbalen Dandytums anzurühren.
    Leider hat sich der Mensch jedoch in puncto Schwärze, Frechheit und Armut weiterentwickelt, seit unsere Väter in grauer Vorzeit die Gesetze literarischen Vergleichens verabschiedeten, und Verlegenheit muß riskiert werden, will man den verblüffenden Realitäten des modernen Lebens gerecht werden. Verrücktheit ist ein besonderes Problem. Bei Blackadders Lösung bemüht man sich um eine Art repetitive Hyperbole: »So verrückt wie der verrückte Jack McVerrückt, der Gewinner des schottischen Mr-Verrückt-Wettbewerbs.«
    Eine weitere Herangehensweise an die Verrücktheit ist das verwirrende Unsinnsbild, das meines Wissens von dem Komiker Ken Platt erfunden wurde, der der Welt seine unsterbliche »Intelligenz einer Klobürste« vermachte, was zahllose entzückende Möglichkeiten eröffnet: »so verrücktwie eine Hose«, »so verrückt wie ein Haus« oder sogar »so verrückt wie Ovomaltine«. Der kürzeste Weg zu einer neuen Trope besteht natürlich

Weitere Kostenlose Bücher