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Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)

Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)

Titel: Paperweight: Literarische Snacks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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in der genauen Analyse moderner Verrücktheit, um zu sehen, ob diese einen nicht weiterbringt: »so verrückt wie eine Schauspielerin«, »so verrückt wie ein Anrufer beim Ratespiel im Radio«, »so verrückt wie ein kleiner Eisenbahnfan«, »verrückter als jemand, der an einem Feiertag die M4 benutzen will«.
    Um die Verrücktheit jener Leute, die es für eine prima Idee hielten, die alten Busse mit Heckplattformen und die roten Telephonzellen abzuschaffen, muß man sich selbstredend noch gesondert kümmern, ebenso um die wilderen Landstriche des Wahnsinns, in denen jene Unglücksraben hausen, die sich die Phrase »Tagesempfehlung« ausdachten.
    Welche verbalen Ressourcen bleiben dann jedoch noch übrig, um die wahre Verrücktheit abzudecken, jene Verrücktheit, die en miniature folgendermaßen klingt: »Ich weiß, wenn ich’s einfach laufen lasse und mir in die Hose pinkel, ärgere ich mich hinterher. Sie wird kalt, unangenehm und fängt an zu stinken. Andererseits ist es wirklich zuviel verlangt, aufs Klo zu gehen, also los geht’s.« Schon stellen sich Elend, Unbehagen und eine vollgesaute Hose ein.
    Wer benimmt sich so? Dieselbe Verrücktheit läßt uns aber im großen Maßstab sagen: »Ich weiß, daß wir Arten zerstören, den Thunfisch, Delphin, Wal, Elefanten und das Nashorn ausrotten; den Regenwald abholzen, Erde, Luft und Meer vergiften, aber was soll’s.« Allerdings versauen wir bei diesem zweiten Szenario mehr als nur eine Hose.
    Jetzt denkt manch einer unter Ihnen: »Ach du Schreck, wieder so ein Ökoquaßler, wo ist denn der Sportteil«, aber ich will hier gar nicht dem Umweltschutz das Wort erteilen. Das kennen wir schließlich alles; darum geht es ja gerade.
    Wie beschreiben wir eine Verrücktheit, die unserer Spezies so vollständig und universal zu eigen ist, daß sie keine Verrücktheit mehr, sondern die Norm ist? »So verrückt wie das Allerverrückteste, was man sich vorstellen kann, verquirlt zu wahnsinniger Durchgedrehtheit, psychotisch mariniert in amoklaufender Unvernunft, eine schäumende Klapsmühle wilder Narretei untergehoben und auf behämmerter Flamme übergeschnappter Wüterei erhitzt. Abtropfen und abkühlen lassen, dann unter Wahndelikt abheften.«
    Nicht stark genug; deckt nicht mal die äußeren Symptome ab. »So verrückt wie der Mensch?« Schon besser, aber wir sollten ehrlicher sein. Wir wissen doch alle, wie wir die Welt behandeln, und genau wie ich jetzt
reden
wir die meiste Zeit nur darüber. Der neue Charakter der Verrücktheit ist persönlich. »So verrückt wie ich« sollte der offizielle Eintrag im
Metaphernduden
lauten.
    Der junge, unkonventionelle Mr Kershaw hätte darüber die Stirn gerunzelt, es fehlt Konkretion und poetische Dichte, aber er hätte es nicht wegen Falschheit bekritteln können. Vielleicht hätte ich noch eine Zwei plus bekommen, Klammer auf minus, Fragezeichen, Klammer zu.

Das Bild der Wirklichkeit
     
    Wir können nur das sehen, was wir sehen wollen. Das ist eine weithin bekannte und gutbelegte Wahrheit. Menschen, die der Sache und dem Anliegen der politischen Linken übelgesinnt sind, schauen einem Dennis Skinner oder auch Arthur Scargill in die Augen und sehen dort nur beutehungrigen Ehrgeiz und schäumenden Irrsinn; im anderen Lager kann man einfach nicht verstehen, wie maneinem Tebbit oder einer Thatcher ins Gesicht sehen kann, ohne dort mit Händen zu greifende Anzeichen größenwahnsinniger Torheit oder verworrener Ausgeklinktheit zu erkennen. Vorurteil oder schlichtes Wissen beeinflussen das, was wir für unsere neutralen und objektiven Sinneswahrnehmungen halten. »Du mußt ihm nur mal in die Augen schauen«, sagen die Leute unermüdlich über Enoch Powell oder Tony Benn. Doch kein Wissen gibt’s, wie Shakespeares König Duncan so weise bemerkte, der Seele Bildung im Gesicht zu lesen. In
Desert Island Discs
konnte Lady Mosley letztes Jahr mit der atemlosen Bewunderung eines Teenyboppers frei von der Leber weg über Hitlers blaue Guckerchen schwärmen, und sie hatte natürlich völlig recht: Hitler
hatte
blaue Augen, leuchtendblaue sogar. Es wäre uns zwar
lieber
, wenn sie ausdrucks- und erbarmungslos wie die Sonne gebrannt hätten, wild, herzlos und teuflisch, aber so einfach ist das Leben nicht. Wenn alle bösen Menschen für den unbeteiligten Beobachter böse aussähen, dann wäre die ganze Chose viel einfacher zu ertragen. Sah Albert Schweitzer wirklich heiliger aus als John Crippen? Wenn wir Photos von Mutter Teresa und einer

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