Paraforce 3 - Jagd auf einen Totengeist
Hosenbeinen und rissen Löcher in den Stoff und ins Fleisch.
Nächtliche Tiere wurden auf ihn aufmerksam und flüchteten weiter ins Dickicht; der Juwelier fühlte sich von tausenden Augen angestarrt.
»Verdammt!«, keuchte er und versuchte eine erneute Kursänderung, aber seine Beine blieben stur und gingen immer weiter in den Wald hinein. Er schlug mit seinen Fäusten auf sie ein und schmeichelte und drohte ihnen, doch es änderte sich nichts.
»Was, zum Teufel, mach ich hier?«, fragte er sich immer wieder. Dann schrie er um Hilfe, vielleicht bestand die Möglichkeit, dass jemand ihn hörte. Er brüllte, bis er heiser war, doch nur Tiere antworteten ihm. Es war ihm ein Rätsel, was mit ihm geschah.
Verzweifelt wischte er sich übers Gesicht, das feucht war von Schweiß, Tränen und dem Blut, das die Äste und dornigen Ranken hervorgezaubert hatte. Einmal knickte er um, als er in eine Kuhle trat. Ungelenk wie ein nasser Sack fiel er auf den Teppich aus Laub und hielt sich den Knöchel, doch was immer in ihm war, das ihn vom Weg abgebracht hatte, es duldete nicht, dass er sich auch nur einen Moment lang Ruhe gönnte. Unerbittlich war da dieser unhörbare Befehl, dass er weiter musste. Thomas Eichinger schluchzte, sein Gesicht war vor Schmerzen verzerrt, als er sich langsam wieder auf die Beine quälte, die ihm nicht zu gehören schienen.
Obgleich in seinem linken Knöchel nun ein harscher Schmerz wütete, humpelte er weiterhin in unvermindertem Tempo durch den Wald; jede Begegnung seines Fußes mit dem Erdboden entlockte Eichinger ein Stöhnen.
Weiter , drohte die Stimme in seinem Kopf, nur immer weiter! Klang sie nicht gar ein wenig belustigt, als sei ihr Eichingers Qual eine wahre Freude?
»Verdammter Bastard!«, fluchte der Juwelier. »Du verdammte Bestie! Lass mich endlich frei!« Nichts geschah, nur das Tempo, das die Stimme ihm abverlangte, wurde noch mehr forciert.
Sein Marsch dauerte nur einige Minuten, die Eichinger jedoch wie Stunden vorkamen, schließlich gelangte er an eine Lichtung und ein Tümpel lag vor ihm. Im schwachen Licht des Mondes, das die Lichtung erhellte, sah er die Schicht aus Algen, die wie ein Teppich auf der Oberfläche ruhte und das Wasser vollkommen erstarren ließ. Einige Frösche quakten, ungerührt von den Ängsten, die der einsame Mann ausstand.
Er fühlte, dass er nun am Ziel angelangt war. Schwer atmend stand er am Ufer des kleinen Tümpels, den verletzten Fuß ein wenig angewinkelt, damit er nicht so stark belastet wurde. Er hätte ihm Moment kaum etwas lieber getan, als sich einige Minuten lang auszuruhen. Eichinger war mit seinen Kräften vollkommen am Ende. Mehr noch als der hastige Marsch erschöpfte ihn die unaussprechliche Angst; sie schien jegliche Kraft aus seinen Gliedern herauszerren.
Ohne sein Zutun spannten sich die Muskeln in seinen vor Erschöpfung zitternden Beinen an und schon ging seine unfreiwillige Wanderung weiter, diesmal aber nur für wenige Sekunden. In der vom Mondlicht aufgeweichten Finsternis erkannte er einige Klumpen am schlammigen Ufer liegen. Als er heran war und sich vornüber beugte, sah Eichinger, dass es Steine waren. Entgegen seinem Willen klaubte er mit beiden Händen einige von ihnen auf, von denen die meisten in etwa die Größe einer Kleinkinderfaust hatten, und stopfte sie sich in die Jacken- und Hosentaschen.
Ein Laut, so spinnwebfein wie ein verlorenes Echo, drang aus Eichingers Mund. Nun wusste er Bescheid. Die Steine hatten ihm die Antwort verraten; sie dienten dazu, dass er am Grund des einsamen Tümpels blieb und nie wieder auftauchte.
»Nein!«, flehte er zu niemandem. »Ich will nicht sterben!«
Die Stimme in seinem Kopf schwieg, als lohne es sich nicht mehr, etwas auf das Gestammel eines Todgeweihten zu geben.
»Bitte!«, greinte er. »Meine Frau! Ich hab doch niemandem was getan! Ich werd auch nichts verraten, ganz sicher nicht.«
Er drehte sich verloren um seine eigene Achse. Nur die Frösche antworteten ihm; ihr Quaken klang so gelangweilt, als wollten sie ihm bedeuten, dass Sterben in diesem Wald zur Tagesordnung gehörte.
Die mit Steinen prall gefüllten Taschen seiner Jacke drohten zu reißen, als Thomas Eichinger einen ungelenken Schritt zum Wasser machte. Mit dem nächsten Schritt zerteilte er die Algenschicht. Die Kälte des Wassers drohte ihm den Atem zu rauben, doch er hielt nicht inne, die Stimme ließ Zögern nicht zu.
Der Grund des stillen Tümpels, der den Mann zu schlucken drohte, fiel steil ab.
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