Paraforce 3 - Jagd auf einen Totengeist
klopfte Ben sich anerkennend auf die Schulter, dass es ihm gelungen war, Jacques Baptistes Umschreibung zum Besten zu geben.
Er sah Crenz´ skeptischen Blick und fügte hinzu: »All das schließt aber nicht aus, dass es auch Drahtzieher aus Fleisch und Blut gibt. Von dieser Seite her müssen wir den Fall angehen, glaube ich.«
Crenz stieß es ein langes Seufzen aus und lehnte sich wieder in seinem bequemen Stuhl zurück. »Ganz ehrlich, ich hatte bereits ähnliche Gedankengänge wie Sie. Natürlich habe ich mit niemandem darüber gesprochen; mein Ruf bedeutet mir schließlich noch etwas. Das unterscheidet uns offenbar.«
5
Zoltan Nenth bewohnte ein heruntergekommenes Haus am Kölner Stadtrand, das er vor rund zwei Jahren für einen Spottpreis ergattert hatte. Es hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Bunker, weil es einen trist-grauen Anstrich hatte. Die schmutzigen Fenster an der Front waren kaum größer als Bullaugen, sodass es im Inneren beinah so finster war wie im Bauch eines Wals.
Die dringend erforderlichen Renovierungsarbeiten waren noch längst nicht abgeschlossen, da Nenth dies nicht als wesentlich ansah. Am wichtigsten war ihm, dass er hier in Ruhe leben konnte, die nächsten Nachbarn waren rund einhundert Meter entfernt und kümmerten sich nicht im Geringsten um Nenth. Nicht nur das Haus war abschreckend; das gleiche sagten sie auch über Zoltan Nenth. Zudem gab es viel Waldfläche, die ihn vor den Blicken Neugieriger schützte.
Nun befand er sich im Keller, wo es kühl und klamm wie in einer Gruft war. Schimmelflecken hatten die Wände und die Decke erobert, doch das nahm Nenth überhaupt nicht wahr. Der Raum wurde von dem flackernden Licht zahlreicher Kerzen erleuchtet, welche auf der mit Kreide gemalten Linie eines Kreises standen, in dessen Mitte Nenth kauerte. Vor ihm stand eine silberne Schale, die bis zur Hälfte mit dem Blut eines Hahns gefüllt war, der tot in einem Nebenraum lag. Tierblut genügte normalerweise, um eine Beschwörung erfolgreich auszuführen, aber mittlerweise wusste Nenth, dass es nicht von Nachteil war, wenn er selbst ein Opfer brachte. Daher fügte er sich mit einem scharfen Messer eine Besorgnis erregend ergiebige Wunde am Handrücken zu und ließ sein herausströmendes Blut in die Schale laufen, in die er außerdem Weihrauch und Styrax gemischt hatte. Die Schale erhitzte er mit einer weiteren Kerze, die im Inneren des Kreises stand. Bald erfüllte der Duft kochenden Blutes den fensterlosen und kalten Raum.
Alte, vergilbte Fotos von Lutz Bürger waren im Raum verteilt, sodass sein verschlossenes Gesicht allgegenwärtig war. Auf diese Fotos konzentrierte Nenth sich nun. Er wusste, dass es ihm gelingen würde, den Geist des erschossenen Massenmörders zu beschwören. Es schien beinah so, als warte das Jenseitswesen mittlerweile auf dieses Ritual. Ganz anders als noch beim Erstkontakt vor einigen Wochen, der zu scheitern drohte, obwohl Nenth über mehrere Tage immer wieder versucht hatte, Bürgers Geist zu beschwören – zuerst allein, so wie jetzt, später dann mit Unterstützung von Cendric Baltic und Andreas Schütte. Unmengen an Blut waren vergeudet worden, sein eigenes, das seiner Freunde und das von aufgekauften oder gefangenen Tieren, deren starre Kadaver sich einige Tage lang im Nebenraum, der zur Leichenkammer geworden war, gestapelt hatten. Zum Schluss hatte der Duft des Blutes und des Weihrauchs eine derart blumige Intensität angenommen, dass Baltic würgend in den Wald geflohen war. Nur mit dem Versprechen auf Reichtum war es Nenth gelungen, seinen Kumpan wieder in den Keller zu locken.
Dann, irgendwann, war es ihnen gelungen, Kontakt aufzunehmen.
Die Leichtigkeit, mit der es ihm mittlerweile gelang, die Beschwörung zu einem erfolgreichen Ende zu bringen, lag wohl eindeutig darin begründet, dass Lutz Bürger ganz eigene Interessen verfolgte. Nenth kannte seine blutrünstige Geschichte und ihm war klar, dass der Totengeist danach gierte, die Mordserie von Neuem zu beginnen. Die unselige Kraft, die Bürger zu seinen Taten befähigte, schwand nach einer gewissen Zeit, sodass eine weitere Beschwörung vonnöten war, und gerade dies hielt Nenth für den Schlüssel zum Erfolg. Bürger war auf seinen menschlichen Komplizen angewiesen; ohne die Prozedur der Heraufbeschwörung war er nicht in der Lage, auf Beutejagd zu gehen. Demnach war dieser Pakt für beide Seiten sehr ertragreich und Nenth wusste, dass eine goldene Zukunft vor ihm lag.
Thomas Eichinger
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