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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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den regenzernagten Sandsteinbalustraden schaukelten sacht die von Steingefäßen hängenden weißen Trichter der Petunien.
    Der Schmerz legte sich allmählich wieder.
    Wie gelber Tau fiel der irrwitzige Widerschein der Stadt vom bewölkten Himmel.
    Mit meinem Herumwälzen hatte ich mein schwarzes Hemd und die Hose durchnässt, auch wenn der kühle Tau den Schmerz linderte. Jetzt war mir egal, wie ich aussah. Bestimmt schrecklich, aber auf irgendeine Weise würde ich schon nach Hause gelangen. Ich musste urinieren, und der Durst quälte mich, sonst hätte ich ruhig weiter auf dem Rasen liegen können. Es war angenehm, die vertrauten Geräusche der Stadt, ihr Dröhnen, ihre entfernten oder näheren schrillen Töne zu hören. Ich fühlte mich in der Nacht geborgen, ich lag ja im mächtigen Schatten der Platanen, verschwand darin.
    Und es kam niemand über die Promenade, weder ein Monster noch ein menschliches Wesen, bestimmt war das vorhin nur eine Täuschung gewesen.
    Ich hätte mich so rasch wie möglich zum Gehen entschließen sollen, und wegen Pisti auch nie mehr herkommen. Ich hatte ja sehen können, was er im Schild führte, und der war hier wirklich zu Hause. Das wollte mir nicht in den Kopf, denn wenn es einen Liebling der Frauen und Mädchen gab, dann war er es. Wenn ich den hier sah, und der war nicht nur wegen Königer da, dann würde ich das Ganze nie verstehen, und weiß Gott, wen ich sonst noch hier antreffen würde.
    Alle machten es.
    Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet, dass ich in der nächtlichen Schar plötzlich auf einen Bekannten stoße.
    Dem konnte ich ja nicht sagen, ich sei zufällig hier und zufällig mit offenem Hosenschlitz.
    Das Nie-Mehr erschien mir aber so beängstigend, wie eine kaum auszuführende Selbstverstümmelung.
    Denn wie soll ich mich zurückhalten, jetzt wo ich sehe, dass sie das, was ich mir kaum vorzustellen wage, jeden Abend hemmungslos tun.
    Etwas hatte sich vor mir aufgetan, das chaotische Reich der unbekannten Handlungen und heimlichen Antriebe, das ich im Namen der Vernunft ein für alle Mal hätte zum Unerforschten zurückdrängen müssen. Schluss, hätte ich rufen sollen. Ich will nichts mehr wissen. Schließlich hatte ich ja auch bisher nicht gewusst, was die Männer unter dem Deckmantel der Nacht treiben, und also konnte ich es auch ruhig vergessen oder tun, als wüsste ich nichts davon.
    Nie soll mir tagsüber etwas davon in den Sinn kommen.
    Nicht über die Margaretenbrücke, sondern über die Árpád-Brücke werde ich nach Pest zurückgehen, dann komme ich vielleicht noch unerkannt nach Hause.
    Nie, nie wieder, schwor ich mir. Vielleicht komme ich noch einmal ungeschoren davon.
    Davonzukommen wäre die einzige greifbare Belohnung für die Selbstbestrafung gewesen. Aber so etwas wird einem nicht einfach in die Hand gedrückt. Und wenn einmal doch, dann käme, während man es aus dem leise knisternden Seidenpapier auswickelt, etwas Bedrohliches, Fatales zum Vorschein, etwas, das man eben knapp vermieden, oder das einen zufällig verschont hat.
    Der schlimmste Fall war nicht eingetreten.
    Und was hätte es für einen Sinn, wegen eines so widerwärtigen Abenteuers in eine peinliche Situation zu geraten. Ich weiß es ja jetzt vom Pisti, aber er weiß es vielleicht noch nicht von mir. Mehr darf ich nicht riskieren. Nicht nur ich könnte mich nicht herausreden, wahrscheinlich auch er nicht, niemand. Ich lag in der kühlen Dunkelheit, die voller wärmerer Brisen war, machte die Augen zu, lauschte auf das rätselhafte Geflüster des Laubs und beschwor das ganze wirre Geschehen herauf, das mich doch eigentlich hätte abstoßen sollen. Und um mich zu retten, schlug ich in meiner Vorstellung den Weg zwischen den geschwärzten Fassaden der Mietshäuser in den schlecht beleuchteten Pester Nebenstraßen ein. Damit mich kein Bekannter in einem solchen Zustand sah, und Pisti schon gar nicht. Ich machte gewissermaßen rasch einen Fluchtplan.
    Es war, als ginge ich dauernd von einer auf die andere Straßenseite, und die Straße hätte immer noch eine andere Seite.
    Ich ging durchs ausgestorbene Dickicht der Stadt, es gab keinen Rückweg.
    Wahrscheinlich war ich über dem nachlassenden Schmerz eingeschlafen. Denn auf einmal schreckte ich hoch, weil ich den stinkenden Atem nicht nur hörte, sondern auch aus nächster Nähe spürte.
    Er japste mir ins Gesicht.
    Ein schwarzes Gesicht mit einer lang heraushängenden, rhythmisch zuckenden Zunge, er starrte mich an. Blitzende Augen, er

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