Parallelgeschichten
erreichte es das Kinn der Frau. Sie beugte den Oberkörper in den Strahl, wollte ihn an den Brüsten spüren. Sie öffnete auch den Mund, um ihn zu schlucken, aber dieser Wunsch stieß auf Hemmungen. An ihren Brüsten oder dazwischen sollte er sie beschmutzen, sie war wie jemand, der im Vorgefühl der Dreckwärme weiß, dass er etwas sehr Wertvolles finden wird.
Winselnd richtete sie ihn gegen sich.
Es kam in einem starken, dicken Strahl, gleichmäßig, hörte nicht mehr auf.
Sie sahen zu, winselten, stöhnten, sperrten den Mund auf, nach den Lippen des anderen schnappend.
Im Gefühl eines großen gemeinsamen Siegs.
Dann verstummten sie.
Sie knabberten einander an den Lippen, rutschten auf dem herausfließenden Speichel herum.
Bis es aufhörte.
Sie hatten eine Grenze überschritten, von der beide früher nicht gewusst hatten. Sie kippten buchstäblich in den unbekannten Duft der frischen Pisse, legten sich in enger Umarmung hinein. Der Urin der Frau mit seinem süßeren Duft schien sich über den schärferen, bittereren Geruch des Mannes zu legen.
Sie lagen lange, reglos und ergriffen.
Ilonas Reishuhn
Im ersten Augenblick tat es nicht weh, dann aber scheußlich, ich knetete an meinem Bein, wand mich im Dunkeln auf dem Boden. Der Schmerz am Schienbein erreichte das Hirn, ich krümmte mich hilflos.
Es war Blut, was sonst.
Zwar anders als geplant, aber es wäre trotzdem das Ende, ich würde verbluten. Das Blut schmierte sich über meine Finger, ich riss die Knie an die Brust, zuckte und schaukelte auf dem vom nächtlichen Tau nassen Rasen, wiegte den Schmerz auf meinem Rückgrat.
So viel Geistesgegenwart hatte ich noch, um hinter dem Schmerz hervorzuhorchen.
Ob sie hinter mir her waren, ob ich nicht weiterlaufen sollte, denn tatsächlich kam jemand seltsam den Weg dahergetrampelt.
Als käme er aus einer ganz anderen Richtung als aus der des Matrosen, als hätte er Witterung aufgenommen und folgte mir. Dem Geräusch nach ein Ungeheuer. Das konnte kein Mensch sein. Sein Schritt war unregelmäßig und stockte immer wieder. Oder als würde jemand in der Nacht kurz, scharf und rasch Kiesel knirschen lassen, einmal länger, einmal kürzer pausieren, und plötzlich wieder weitergehen.
Der schwarzhaarige Riese hatte sich in ein Ungeheuer verwandelt.
Als hätte ich hoffen dürfen, dass gerade der mir gefolgt wäre.
Ich war über die schmiedeeiserne Einfassung gefallen, die hinter dem Grand Hotel der Margareteninsel den riesigen, glatten Rasen von den platanengesäumten Promenaden trennt. Wie hatte ich die vergessen können. Ranken und Winden, aufgehende Blüten, riesige runde Knospen, daraus bestand der neobarocke Zaun. Ich hatte mir seine scharfkantigen Blütenblätter und knüppelartigen Knospen ins Schienbein getrieben. Wenn ich doch wenigstens in aller Stille verbluten könnte. Ich würde immer schwächer werden, würde allmählich das Bewusstsein verlieren, oder ich bekäme eine nette kleine Blutvergiftung, an der ich innerhalb von ein paar Tagen ohne viel Aufheben sterben würde. Darauf bestand sogar Hoffnung, denn Rostscheibchen hatten sich in die Wunde gekeilt; ich spürte ihre scharfen Kanten an meinen nach dem Schmerz tastenden, über das Blut gleitenden Fingern.
Die riesigen ebenerdigen Terrassen waren zu dieser Stunde leer; die gestreiften Sonnenschirme neben den Tischen zusammengefaltet, alle Fenster dunkel.
Kein einziger Hotelgast, der noch wach gewesen wäre.
Es war ein komisches Gefühl, dass es gerade hier geschehen musste. Als schaute ich aus einem dunklen Fenster im dritten Stock des Hotels, aus dem Eckzimmer, mit meinem damaligen Blick zu, wie ich mich im dichten Schatten der Platanen auf dem nassen Rasen winde.
Jedes Jahr zur Zeit des herbstlichen Großreinemachens waren meine Großeltern von der Stefánia-Allee hierher gezogen, und jedes Jahr hatten sie dieselbe Suite gemietet.
Das Hotel war eine Ausnahme geblieben, hatte sich in allen den Jahren nicht verändert. Der gleiche leichte Wind raschelte im lockeren Laub der Platanen, brachte den Wassergeruch vom Fluss mit, zerstreute das flackernde Licht der Gaslaternen, und wenn er zunahm, ließ er die fünf dunklen Arme der Blätter gegeneinanderschlagen, flüsternd übereinanderrutschen, sich reiben.
In jenen Jahren dachten die Freundinnen meiner Großmutter noch ganz im Ernst, dass man alles schön ordentlich zusammenhalten könnte, bis dann die Amerikaner kamen. Die Russen würden verschwinden, und dann wäre alles wie zuvor.
Auf
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