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Paris, Ein Fest Fürs Leben

Paris, Ein Fest Fürs Leben

Titel: Paris, Ein Fest Fürs Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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Winterregen da, und beim Gehen sah man nicht mehr die Dächer der hohen weißen Häuser, sondern nur die nasse Schwärze der Straße und die geschlossenen Türen der kleinen Läden der Kräuterverkäufer, der Papier- und Zeitungsläden, der Hebamme - zweite Klasse - und das Hotel, in dem Verlaine gestorben war, wo ich im obersten Stockwerk ein Zimmer hatte, in dem ich arbeitete.
    Es waren entweder sechs oder acht Treppen hinauf bis zum obersten Stockwerk, und es war sehr kalt, und ich wußte, wieviel ein kleines Bündel Reisig kosten würde, drei mit Draht umwickelte, kurze, halbbleistiftlange Stücke gespaltenen Kiefernholzes - die von dem Reisig Feuer fangen sollten - und dann noch das Bündel halbgetrockneter Längen von Hartholz, das ich kaufen mußte, um ein Feuer zu machen, das das Zimmer erwärmen würde. Also ging ich auf die andere Straßenseite, um im Regen zum Dach hinaufzubücken und zu sehen, ob irgendwelche Schornsteine im Gang waren und wohin der Rauch trieb. Man sah keinen Rauch, und ich überlegte, wie kalt der Schornstein sein würde und daß er vielleicht nicht zog und sich dann das Zimmer möglicherweise mit Rauch füllte und das Brennmaterial verschwendet war und damit das Geld, und ich ging weiter im Regen. Ich ging hinunter am Lycée Henri-Quatre vorbei und an der uralten Kirche Saint-Etienne-du-Mont und der windgepeitschten Place du Pantheon und bog schutzsuchend rechts ab und kam schließlich auf der vom Wind geschützten Seite des Boulevard Saint-Michel heraus und arbeitete mich weiter hinunter am Cluny vorbei und überquerte den Boulevard Saint-Germain, bis ich auf der Place Saint-Michel zu einem guten Café kam, das ich kannte.
    Es war ein angenehmes Café, warm und sauber und freundlich, und ich hing meinen alten Regenmantel am Kleiderständer zum Trocknen auf und legte meinen abgetragenen und verwitterten Filzhut auf das Gestell über der Sitzbank und bestellte einen café au lait . Der Kellner brachte ihn, und ich nahm mein Notizbuch und einen Bleistift auf der Manteltasche und fing an zu schreiben. Ich schrieb etwas über Oben in Michigan, und da es ein wilder, kalter, stürmischer Tag war, war es ein eben solcher Tag in meiner Story. Ich hatte bereits als Junge, als Jüngling und als junger Mann das Ende des Herbstes kommen sehen, und an einem Ort konnte man besser darüber schreiben als an einem andern. Ich dachte, das nenne man „sich umpflanzen", und es konnte für Menschen ebenso notwendig sein wie für andere wachsende Dinge. Nun tranken die Burschen in meiner Story, und das machte mich durstig, und ich bestellte mir einen Rum St. James. Der schmeckte wunderbar an dem kalten Tag, und ich schrieb weiter, fühlte mich sehr wohl und fühlte, wie der gute Rum aus Martinique mir Körper und Geist durchwärmte.
    Ein Mädchen kam ins Café und setzte sich allein an einen Tisch dicht am Fenster. Sie war sehr hübsch, ihr Gesicht frisch wie eine neugeprägte Münze, falls man Münzen aus glattem Fleisch und vom Regen erfrischter Haut prägte, und ihr Haar war schwarz wie ein Krähenflügel und knapp und schräg über der Wange gestutzt.
    Ich blickte sie an, und sie beunruhigte mich und erregte mich sehr. Ich wünschte, ich hätte sie in der Story oder sonstwo unterbringen können, aber sie hatte sich so gesetzt, daß sie die Straße und den Eingang beobachten konnte, und ich wußte, daß sie auf jemanden wartete. Also schrieb ich weiter.
    Die Geschichte schrieb sich selbst, und ich hatte große Mühe, mit ihr Schritt zu halten. Ich bestellte einen zweiten Rum St. James, und ich beobachtete das Mädchen, wann immer ich aufblickte oder wenn ich meinen Bleistift mit dem Bleistiftanspitzer anspitzte und sich die Späne auf der Untertasse meines Getränks ringelten.
    Ich habe dich gesehen, du Schöne, und jetzt gehörst du mir, auf wen du auch wartest und wenn ich dich nie wiedersehe, dachte ich. Du gehörst mir und ganz Paris gehört mir, und ich gehöre diesem Notizbuch und diesem Bleistift.
    Dann machte ich mich wieder ans Schreiben und vertiefte mich in die Story und verlor mich in ihr. Ich schrieb sie jetzt, sie schrieb sich nicht mehr selbst, und ich bückte nicht auf, noch wußte ich etwas von der Zeit, noch wußte ich, wo ich war, noch bestellte ich mir einen weiteren Rum St. James. Ohne daran zu denken, hatte ich den Rum St. James über. Dann war die Story fertig, und ich war sehr müde. Ich las den letzten Absatz, und dann blickte ich auf und sah mich nach dem Mädchen um, und sie

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