Passagier nach Frankfurt
Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, ohne sich jemals irgendwie hervorgetan zu haben. Man war der Ansicht, dass Stafford Nye, wenn auch äußerst brillant, ein eher unzuverlässiger Mensch sei und auch bleiben würde. In diesen Zeiten verworrener Politik und verworrener internationaler Beziehungen war Sicherheit der Brillanz vorzuziehen, besonders wenn man den Botschafterrang anstrebte. Sir Stafford wurde aufs Abstellgleis geschoben, war jedoch gelegentlich mit Missionen betraut, die der Kunst der Intrige bedurften, allerdings nicht allzu wichtig oder allzu öffentlicher Natur waren. Journalisten bezeichneten ihn zuweilen als die unbekannte Größe der Diplomatie.
Ob Sir Stafford selbst unzufrieden mit seiner Karriere war, wusste niemand. Vielleicht nicht einmal Sir Stafford selbst. Er war ein Mann mit gewissen Eitelkeiten, aber auch jemand, der es sehr genoss, seinem Hang zum Unfug nachzugeben.
Er kehrte gerade von einer Untersuchungskommission in Malaysia zurück. Er hatte sie als ausgesprochen uninteressant empfunden. Seine Kollegen hatten seiner Meinung nach bereits im Voraus beschlossen, wie ihre Untersuchungsergebnisse aussehen sollten. Sie beobachteten und lauschten, ihre vorgefassten Ansichten wurden davon jedoch in keiner Weise berührt. Sir Stafford hatte versucht, einigen Sand ins Getriebe zu werfen, mehr nur so zum Spaß als aus ausgesprochener Überzeugung. Zumindest hatte es die Situation etwas belebt, dachte er. Er wünschte sich mehr Gelegenheit zu solchen Aktivitäten. Seine Kollegen in der Kommission waren solide, zuverlässige Burschen – und bemerkenswert langweilig. Sogar das einzige weibliche Mitglied, die allseits bekannte Mrs. Nathaniel Everidge, sonst wohlbekannt für ihre Spleens, war keine Närrin, wenn es um eindeutige Fakten ging. Sie schaute, sie lauschte – und ging auf Nummer sicher. Er hatte sie früher schon einmal getroffen, anlässlich einer Tagung wegen eines Problems in einer der Balkanhauptstädte. Dort hatte sich Sir Stafford nicht enthalten können, einige interessante Vorschläge zu unterbreiten. In der skandalverliebten Zeitschrift Inside News wurde angedeutet, dass die Anwesenheit von Sir Staffort Nye in jener Balkan-Kapitale innig mit den dortigen Problemen verwoben und seine Mission von geheimer Art und höchst delikat sei. Eine Art Freund hatte Sir Stafford ein Exemplar zugesandt, die betreffenden Passagen waren markiert. Sir Stafford war nicht abgeschreckt. Er las es mit einem freudigen Grinsen. Es amüsierte ihn sehr, wie lächerlich weit die Journalisten in diesem Fall von der Wahrheit entfernt waren. Seine Anwesenheit in Sofiagrad war einzig dem unschuldigen Interesse an seltenen Wildblumen und der dringlichen Einladung seiner betagten Freundin Lady Lucy Cleghorn zuzuschreiben, die ständig auf der Suche nach diesen scheuen Blumen-Raritäten war. Sie schien jederzeit bereit, beim Anblick irgendeines Blümchens, bei dem die Länge des lateinischen Namens im umgekehrten Verhältnis zu seiner Größe stand, eine Felsklippe zu erklimmen oder mit Freuden in eine Moorpfütze zu springen. Eine kleine Gruppe von Enthusiasten hatte diese botanische Exkursion etwa zehn Tage lang an den Berghängen unternommen, da ging es Sir Stafford auf, dass der Abschnitt in der Zeitschrift nicht der Wahrheit entsprach. Er war der Wildblumen ein wenig – wirklich nur ein wenig – überdrüssig. Und so sehr er Lucy auch zugetan war, ihre Fähigkeit trotz ihrer über 60 Lenze die Berge in Höchstgeschwindigkeit zu erklimmen und ihn mit Leichtigkeit zu überholen, ärgerte ihn zuweilen. Immerzu schwebte ihr königsblauer Hosenboden direkt vor seiner Nase. Und auch wenn an anderen Stellen hinreichend knochig, war sie, Gott seis geklagt, zu ausladend in den Hüften, um königsblaue Cordhosen zu tragen. Dann doch besser eine nette kleine internationale Affäre, in der er die Hand im Spiel haben könnte…
Im Flugzeug erklang wieder die metallische Lautsprecherstimme. Sie verkündete den Passagieren, dass die Maschine wegen dichten Nebels in Genf nach Frankfurt umgeleitet und von dort nach London weiterfliegen würde. Passagiere nach Genf würden sobald wie möglich von Frankfurt zurückgeflogen werden. Sir Stafford Nye war das gleichgültig. Wenn in London Nebel wäre, würden sie die Maschine vermutlich nach Prestwick umleiten. Er hoffte, das würde nicht geschehen. Er war bereits zu oft in Prestwick gewesen. Das Leben an sich, dachte er, und Flugreisen im Besonderen, waren wirklich
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