Patrick: Eine finstere Erzählung
schon, dass das jetzt irgendwie unheimlich ist.“ Wie auf ein Stichwort vernimmt sie das schrille Schreien eines Jungen, durch die Wände gedämpft, doch jedes Wort verständlich. Er ruft nach seinem Papa. Es klingt nach mehr als Albträumen.
Wieder im Wohnzimmer sagt sie: „Oh mein Gott, was ist denn da los?“
Paddy setzt sich auf sein Sofa und lässt Patrizia Platz, sich neben ihn zu setzen, was sie aber nicht tut. Stattdessen geht sie wieder zum Sessel. Sie muss nun abwägen, in welche Richtung das Gespräch geht. Ihre kleine Handtasche liegt griffbereit neben ihr. Die Jacke hinter ihr.
„Das ist Timmi“, antwortet Paddy, „Der Sohn von Walter, meinem Nachbarn. Der Junge ist nur zwei, drei Tage die Woche bei seinem Vater und seit drei Wochen oder so schreit er jedes Mal, wenn er schlafen soll. Ich weiß nicht, was Walter mit ihm macht.“
Sie schüttelt den Kopf. „Das ist ja schrecklich.“ Eine weitere Brise des süßlichen Aromas erinnert sie an die verwesende Katze.
„Jetzt erzähl mal“, sagt sie und beugt sich vor, um ihr Glas Martini zu greifen, „Warum verwest eine Katze in deiner Wohnung, Paddy?“
V
„Das wird sich alles bestimmt total absurd anhören. So, als könnte das niemandem in echt passieren oder zumindest nicht einem selbst. Das habe ich auch gedacht, als es damals begann. Ich fühlte mich wie im falschen Film. Na ja, es ist noch gar nicht so lange her.
Es geht um meine Ex-Freundin Nicole. Von der habe ich dir bisher noch nicht erzählt. Eigentlich wollte ich dir auch nichts erzählen, aber wenn du diesen Geruch immer noch in meiner Wohnung riechst, dann ist es wohl an der Zeit. Ich dachte, er wäre schon längst verflogen. Seit die Leiche der Katze nicht mehr hier ist, habe ich jeden Tag durchgelüftet, auch bei schlechtestem Wetter. Na ja, wahrscheinlich ist es mit dem Geruch wirklich so, wie ein Freund von mir sagte: Sobald man sich an ihn gewöhnt hat, ist er nicht mehr präsent. Widerlich ist er schon.
Also, damit du gar nicht auf falsche Ideen kommst, will ich dir kurz von Nicole erzählen. Sie hat mir nämlich die tote Katze in meine Wohnung gelegt, genauer gesagt, unter mein Bett. Aber damit du auch nachvollziehen kannst, wieso, muss ich dir von unserer Beziehung erzählen, wenn das okay ist.“
Natürlich ist das okay, denkt sie. Zur Bestätigung nickt Patrizia nur. Sie hat sich mittlerweile auf dem Sessel ausgebreitet, das Glas Martini in der rechten Hand, die linke auf ihrem Oberschenkel ruhend. Der anfängliche Ekel und die Unruhe sind verflogen. Sie erwartet nun eine Geschichte, eine unheimliche vielleicht. So was mag sie. Jeder mag doch echte Horrorgeschichten, die kleinen, die aus dem Alltag stammen.
„Die Katze war ja auch nur der Gipfel von allem, das makabre i-Tüpfelchen ganz am Ende unserer Beziehung. Eigentlich war schon längst Schluss gewesen. Also, ich fange mal am besten von vorne an:
Ich lernte Nicole letztes Jahr kennen, also fünf Jahre nach dem Tod meiner Frau. Ich hatte die ganze Zeit über keinen Sex gehabt und genau diese Art der Anziehung, diese Chemie, die ich so vermisst hatte, lag von Anfang an zwischen uns. Ich fühlte es sofort, als ich sie das erste Mal sah, und sie war später so ehrlich zu mir und gab zu, dass es bei ihr nicht anders gewesen war. Wir schliefen gleich in der ersten Nacht miteinander.
Wir fielen ausgehungert über uns her und ich erfuhr, dass auch ihre letzte Beziehung einige Jahre zurück lag. Allerdings war sie an den typischen Problemen eines Paares zerbrochen, so sagte sie es zumindest, aber es war in jedem Fall nicht wie bei mir. Bei Nicole konnte ich zum ersten Mal etwas anderes empfinden als Trauer.
Zwischen uns beiden war es ein starker Beginn, ein sehr starker, wie es sich für eine zerstörerische Beziehung wohl gehört. Denn anders kann ich das nicht beschreiben. Nachdem wir so zirka ein halbes Jahr jede freie Zeit im Bett verbracht hatten, entstand eine Stille zwischen uns. Wir schliefen zwar weiterhin miteinander, aber die einzigen Worte, die wir miteinander tauschten, waren die Laute beim Sex. Das klingt jetzt vielleicht bescheuert, aber ich wollte mehr als das.“
„Das klingt nicht bescheuert“, erwidert Patrizia. Ihre Stimme klingt kratzig und trotzdem würde sie jetzt gerne eine Zigarette rauchen. Aber dieses Laster gab sie vor Wochen auf, wenn man die wenigen Male vergisst, die es mit Michael noch gibt. Da ist er wieder in ihren Gedanken und sie fragt sich, ob er sich von dem Geld, das
Weitere Kostenlose Bücher