Patterson, James - Alex Cross 02 - Denn Zum Küssen Sind Sie Da
nicht mehr aus seinen Gedanken verdrängen. Sie hatten beide begriffen, daß erlesenes Vergnügen sich steigerte, je verbotener es war. Das war das Prinzip ihrer Jagd gewesen, dem Sammeln intelligenter, schöner, talentierter Frauen, das Prinzip der langen Mordserie. Der unglaubliche, unvergleichliche Nervenkitzel beim Brechen der geheiligten Tabus der Gesellschaft, beim Ausleben kunstvoller Phantasien war einfach unwiderstehlich. Es waren unfaßbare Freuden. Die Jagd hieß auch: das Auswählen, Beobachten und Rauben schöner Frauen und ihrer persönlichsten Habe. Aber jetzt war Rudolph nicht mehr da. Casanova begriff, daß er nicht nur allein war, er hatte plötzlich Angst vor dem Alleinsein. Er fühlte sich wie amputiert. Er mußte wieder die Kontrolle übernehmen. Und das tat er jetzt.
Er mußte Alex Cross einen gewissen Respekt zollen. Cross war nahe daran gewesen, ihn zu fassen. Er fragte sich, ob Cross wußte, wie nahe. Alex Cross war besessen, das war sein Vorteil gegenüber allen anderen, die an dem Fall arbeiteten. Cross würde niemals aufgeben, solange er lebte.
Cross hatte ihm diese köstliche kleine Falle in Nags Head gestellt, nicht wahr? Selbstverständlich war es so. Cross hatte damit gerechnet, daß er in jedem Fall wieder auf ihn und Kate McTiernan losgehen würde; warum sollte es sich dann nicht unter kontrollierbaren Umständen abspielen? Ja, warum eigentlich nicht?
Es war fast Vollmond in der Nacht, in der er an den Outer Banks ankam. Casanova konnte im hohen, wehenden Dünengras vor ihm zwei Männer ausmachen. Das waren die FBI-Agenten, die zur Bewachung von Cross und Dr. Kate abgestellt worden waren. Die auserwählten Bewacher.
Er schaltete seine Taschenlampe ein, damit sie ihn kommen sahen. Ja, er konnte sich überall anpassen. Das war auch ein Teil seines Genies, ein kleiner Teil seiner Rolle.
Als er in Hörweite kam, rief Casanova den Agenten zu: »Hallo, ich bin’s nur.«
Er beleuchtete mit der Taschenlampe sein Gesicht. Er ließ zu, daß sie ihn sahen, sahen, wer er war.
Tick-fick.
122. Kapitel
An jenem Morgen war ich mit dem Frühstück an der Reihe, und ich entschied mich demokratisch für Kates süße Brötchen zusätzlich zu meinem berüchtigten Monterey-Jack Käse und dem Omelett mit gedämpften Zwiebeln.
Ich wollte zu der kleinen, überteuerten Bäckerei in Nags Head und zurückjoggen. Das Joggen hilft mir manchmal, klar zu denken. Ich lief im Zickzack durch leicht wehendes, hüfthohes Dünengras, das schließlich in eine asphaltierte Straße durch die Sümpfe und in die Stadt überging. Es war ein schöner Spätsommertag. Ich entspannte mich beim Joggen. Ich war nicht auf der Hut, so daß ich ihn fast nicht gesehen hätte.
Ein blonder Mann in einem marineblauen Anorak und verfleckten Khakihosen lag ausgestreckt im hohen Gras, gleich neben dem Weg. Er sah aus, als wäre ihm das Genick gebrochen worden. Er war noch nicht lange tot. Sein Körper war noch warm, als ich nach dem Puls fühlte.
Der Tote war vom FBI. Er war ein Profi, den auszuschalten nicht leicht gewesen war. Er war hierher abgestellt worden, um auf Kate und mich aufzupassen, dabei zu helfen, Casanova eine Falle zu stellen. Der Plan stammte von Kyle Craig, aber Kate und ich waren damit einverstanden gewesen.
»Oh, gottverflucht noch mal, nein«, schrie ich. Ich zog meine Pistole und rannte zum Haus und zu Kate zurück. Sie war in schrecklicher Gefahr. Wir beide waren es.
Ich versuchte, mich darauf zu konzentrieren, wie Casanova zu denken, darauf, was er als nächstes tun würde, wozu er fähig war. Die Schutzzone um das Haus herum war eindeutig durchbrochen. Wie hatte er das geschafft? Wer zum Teufel war er? Gegen wen mußte ich kämpfen?
Ich war nicht auf die zweite Leiche gefaßt und wäre fast darüber gestolpert. Sie lag versteckt im Dünengras. Der Agent trug ebenfalls einen marineblauen Anorak. Er lag auf dem Rücken, mit sauber gekämmtem roten Haar. Es gab kein Anzeichen eines Kampfes. Die leblosen braunen Augen starrten hinauf zu den kreisenden Möwen und der buttergelben Sonne. Noch ein toter Leibwächter vom FBI.
Ich war jetzt in Panik, raste durch die steife Brise und das wehende Gras zum Strandhaus. Es war ganz ruhig, genau wie ich es verlassen hatte.
Ich war mir fast sicher, daß Casanova schon da war. Er war auf der Jagd nach uns. Es war Zeit für die Abrechnung. Er mußte alles richtig machen, nicht wahr? Es mußte perfekt sein. Vielleicht wollte er auch nur Rudolph rächen.
Ich hob die
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