Paul Klee - Die Lebensgeschichte
vergangenen Jahrhunderten bereits gewirkt: Johann Sebastian Bach, dessen Violinsonaten Paul so liebt, der Philosoph Friedrich Nietzsche und vor allem die Literaten Wieland, Schiller, Herder und Goethe.
Gropius ist ein Architekt mit Visionen. Modernste Bauwerke sieht er die Bauhäusler entwerfen! Doch nicht nur Architektur
und Räume, auch Möbel, Lampen und Tapeten, die komplette Inneneinrichtung soll neu erfunden werden, und zwar schön und schlicht gestaltet, zweckmäßig im Gebrauch und nicht zuletzt preiswert herzustellen.
Paul nennt Walter Gropius insgeheim den »Silberprinzen«. Er ist ein feiner, aristokratisch wirkender Mann, stets geschmackvoll gekleidet, die dunklen Haare perfekt frisiert und zurückgekämmt. Ein Mann voller Tatendrang und Überzeugungskraft, für den das Bauhaus viel mehr ist als eine Schule: Gropius will das gesamte gesellschaftliche Leben nach dem Krieg neu gestalten.
Als Paul im Januar 1921 als Lehrer in das Bauhaus eintritt, sind bereits eine ganze Reihe von Werkstätten entstanden: eine Druckerei, eine Tischlerei, eine Töpferei und eine Weberei, die Holz-und Steinbildhauerei, die Buchbinderei, die Gold-Silber-Kupfer-Schmiede und die Werkstatt für Wand- und Glasmalerei. Nach der künstlerischen Grundausbildung sollen die Studenten hier einen Beruf ihrer Wahl erlernen und ihr Studium nach drei Jahren mit einem staatlichen Handwerksexamen abschließen. Kunst und Handwerk will man am Bauhaus vereinen.
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Aus geometrischen Formen schafft Paul eine Landschaft mit Bäumen, und mittendrin malt er ein Kamel: mit Dreiecken für Ohren und Höcker, Kreisen für die Augen und vier Streifen für die Beine.
Paul leitet zunächst die Buchbinderei, später dann die Werkstatt für Glasmalerei und die Weberei, und ist für den theoretischen Unterricht verantwortlich. Ein Mann vom Fach steht ihm zur Seite, der die Studenten am Nachmittag bei der praktischen Umsetzung anleitet.
Die Studenten kommen in Scharen, angezogen von dem Ziel, sich durch das Handwerk zu schöpferischen Künstlern heranbilden zu lassen. Besonders in Deutschland suchen die jungen Leute nach dem verlorenen Krieg eine neue Perspektive. Von den über hundert Studierenden, die sich 1920 am Bauhaus einschreiben, sind die Hälfte Frauen – einige Jahre zuvor wäre das an einer Kunsthochschule noch undenkbar gewesen!
»Von Null anfangen« – dieser Leitspruch des Bauhauses klingt wie Musik in den Ohren der jungen Enthusiasten. Vor allem, wenn der Neuanfang so ungewöhnlich verläuft. Selbst die Kantine nimmt die Devise ernst: Ihre neueste Diät besteht aus rohem Gemüsemus – mit ordentlich Knoblauch, damit der Brei überhaupt nach irgendwas schmeckt …
Paul ist nun also Lehrer. Was er vorher intuitiv geschaffen hat, muss jetzt genau durchdacht werden, damit er es seiner Klasse erklären kann. Der Punkt. Die Linie. Die Fläche. Die Farbe. Über dreitausend Blätter füllt Paul in den nächsten Jahren mit seiner Kunstlehre.
Wenn der Meister geduldig doziert, lauschen seine Schüler wie gebannt. Kein Wunder, weiß er doch, wie er ihnen den Lehrstoff schmackhaft machen kann. Bewegung im Bild darstellen? Sie werden sich doch bestimmt daran erinnern, wie sie früher mit selbstgebauten Gummischleudern Bewegung ins Leben gebracht haben! Mit ein paar hingeworfenen Linien und Pfeilen bringt Paul seine Gedanken an die Tafel. Auch in der Kunst geht es schließlich darum, Bildern Leben einzuhauchen.
Wer hätte gedacht, dass der ansonsten recht wortkarge Künstler ein so talentierter Pädagoge ist. Und wer hätte vermutet, dass aus dem einst so verträumten Schüler ein gewissenhafter Lehrer wird: »Die Vorlesung ging gestern ganz glatt, ich war wieder aufs letzte Wort präpariert, brauchte dann nicht zu befürchten, etwas nicht ganz Verantwortliches zu sagen«, schreibt er an Lily.
Nicht nur die Studenten, auch Paul empfindet die Unterrichtsstunden als ausgesprochen anregend für seine Arbeit. In seinem Atelier im zweiten Stock des Werkstattgebäudes warten stets mehrere Werke gleichzeitig auf ihre Vollendung. »Hier im Atelier male ich an einem halben Dutzend Gemälden und zeichne und denke über meinen Kurs nach«, notiert Paul in sein Tagebuch, »alles miteinander, denn es muss zusammen gehen, sonst ginge es überhaupt nicht«.
Stundenlang sitzt er scheinbar tatenlos in einer Ecke, starrt Löcher in die Leinwände und lässt in kurzen Abständen bläuliche Rauchwölkchen aus der Tabakpfeife aufsteigen. Dann plötzlich
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