Paul Klee - Die Lebensgeschichte
einsame Leuchtturm, der verheerende Sturm, der nichts anderes als Katastrophen bringen kann. Er hat Angst.
1917 folgt die nächste militärische Überraschung: Paul wird schon wieder versetzt. Man ernennt ihn zum Obermaler in der neu gegründeten Fliegerschule 5 in Gersthofen, eine verlassene Gegend nahe Augsburg. Paul trauert ein wenig um seine Transportabenteuer und fügt sich seinem Schicksal – was bleibt ihm auch anderes übrig? Trocken konstatiert er, dass die Unterwerfung schon ganz gewohnheitsmäßig vonstatten geht – neuerdings in der Kassenverwaltung, in die er als Schreiber, Zahlmeister und Wirtschaftsbuchführer berufen wird.
Hier sitzt Paul immerhin im Warmen und Trockenen. Wenn zwischendrin aus den Offiziersräumen sanfte Klavierklänge ertönen, macht sein Herz einen Sprung, seine Gedanken beginnen zu fliegen, hinaus aus dem offenen Fenster der Kassenverwaltung … Aber nein, still halten, rechnen, unmusikalisch sein. Wenigstens bleibt ihm Zeit zum heimlichen Malen und Schreiben in der Schreibtischschublade:
»Einst dem Grau der Nacht enttaucht
Dann schwer und teuer
und stark vom Feuer
Abends voll von Gott und gebeugt
Nun ätherlings vom Blau umschauert
entschwebt über Firnen
zu klugen Gestirnen.«
Bild 10
Maler oder Dichter? In ein Bild aus verschiedenfarbigen Quadraten malt Paul ein Gedicht hinein. Silberpapier trennt die erste Strophe von der zweiten: »Einst dem Grau der Nacht enttaucht …«
Paul findet Zuflucht in seinem Inneren. Die Glut muss immer wieder angefacht werden, damit sie nicht erlöscht, bis diese große europäische Krankheit vorüber ist.
Endlich
Deutschland hat den Krieg verloren. Der monarchische Staat zerfällt ohne großartige Gegenwehr. Am 9. November 1918 wird die Republik ausgerufen und Paul wenige Tage später aus dem Dienst entlassen. Im Dezember kehrt er im Feldgraukostüm nach München zurück.
An der Haustür fallen sich Paul und Lily wortlos in die Arme. Sie halten sich fest, bis Felix aus der Küche in den Flur gestürmt kommt und aufgeregt von einem Fuß auf den anderen hüpft: »Papa, Papa, ich darf nicht ins Musikzimmer, dabei will ich doch nur ganz kurz einen Blick auf die Geschenke werfen. Bitte, bitte, ich pack sie auch nicht aus, ehrlich!« Paul wird ganz warm ums Herz. Wie lange hat er auf diesen Moment gewartet.
Das Weihnachtsfest verläuft heiter. Felix will seinem Vater gar nicht mehr von der Seite weichen. Und Lily, Lily sitzt strahlend am Flügel und spielt alles, was Paul sich wünscht. Als ihr kleiner Sohn auf dem Sofa eingeschlafen ist, holt auch Paul vorsichtig seine Geige hervor und spielt gemeinsam mit Lily Sonaten bis tief in
die Nacht hinein. Unterdessen rollt sich Kater Fritzi auf dem Sofa zusammen und bekennt laut schnurrend sein Einvernehmen mit Pauls wiedergewonnener Freiheit.
Jetzt, wo der Krieg zu Ende ist, kann Paul endlich all seine Ideen in die Tat umsetzen. Was sich da in den letzten Jahren angestaut hat! Ein eigener Raum muss her, der nur für die Kunst reserviert ist und in dem er von morgens bis abends zeichnen und malen kann, was ihm gerade einfällt. Paul mietet kurz entschlossen ein Atelier im Schwabinger Schlösschen Suresnes, das zwar etwas heruntergekommen, aber ausgesprochen idyllisch ist und für seine Zwecke bestens geeignet. Allein die Ruhe, wenn er aus dem Fenster schaut – rundherum nur Bäume und Himmel!
Paul überlegt, ob es wohl richtig ist, sich im Atelier zu verkriechen, während es »draußen« immer wieder zu heftigen gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen rechts- und linksradikalen Gruppen kommt. Ist er als Künstler nicht verpflichtet, sich auch politisch zu engagieren?
Nachdenklich wendet er sich vom Fenster ab und setzt sich an den Ateliertisch. Sein Blick fällt in den an die Wand gelehnten Spiegel. Gedankenverloren greift Paul ein mit Ölfarbe bestrichenes Blatt, legt es mit der Farbseite nach unten auf ein Stück Papier und zeichnet darauf mit wenigen Strichen, was er im Spiegel sieht: einen Mann, dessen linke Hand einen Zeichenstift hält und dessen rechte Hand den Kopf stützt. Er nimmt das Ölfarbeblatt hoch, um sich die durchgepauste Zeichnung anzusehen. Paul ist auf dem Bild nicht wirklich zu erkennen. Vielmehr zeigt es einen Künstler, wie Paul ihn sich vorstellt: den Blick nach innen gerichtet und in Gedanken vertieft. Ja, denkt er bei sich, der Künstler darf sich aus dem Weltgeschehen heraushalten, um sich ganz seiner Kunst zu widmen.
Bild 11
Paul in nachdenklicher Pose.
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