Paul Klee - Die Lebensgeschichte
Kunst soll für ihn nicht das Sichtbare wiedergeben, sondern sichtbar machen.
Sein Blick fällt wieder aus dem Fenster. Wie der Baum in der Natur verwurzelt ist und seine Nahrung aus der Erde bezieht, ist auch der Künstler mit seiner Umwelt verbunden und lässt sich von den Dingen des Lebens inspirieren. Der Baum wächst und bildet eine Baumkrone mit vielen sich verzweigenden Ästen aus, während der Künstler den Dingen nachspürt, abwägt und daraus ebenso etwas Neues schafft.
Paul schafft viel Neues in diesem ersten Jahr nach dem Krieg. Nach langer Zeit traut er sich endlich wieder mit Ölfarben zu experimentieren. Das Malen mit Öl ist ganz anders als mit Aquarellfarben, denn der Pinselstrich selbst wird zum eigentlichen Gestaltungsmittel. Paul zieht mal dicke und mal dünne Striche, malt auf Papier und Karton, dann wieder auf Textilien. Fast fünfzig Ölgemälde entstehen 1919 – mehr als in seinem ganzen Leben zuvor.
Neben der Malerei genießt Paul natürlich auch sein wiedererlangtes Familienglück. Besonders die Sommerzeit, herrlich! Tagtäglich tut er so, als müsse Felix ihn zum Besuch des Würmbads überreden. Dabei fiele ihm bei strahlendem Sonnenschein gar nichts Besseres ein, als sich mit den anderen Badegästen auf der Liegewiese zu tummeln. Kaum haben sie ein schönes Plätzchen gefunden und ihre Handtücher ausgebreitet, rennen Vater und Sohn schon um die Wette in Richtung Fluten. Erster! Felix stürzt sich ins Wasser, Paul taucht hinterher, um seinen Sohn dann am Fuß zu packen und in kräftigen Zügen an ihm vorbeizukraulen. Wenn die beiden Glück haben, ist Lily in der Zwischenzeit gekommen und hat einen Picknickkorb mitgebracht, über den sie sich hermachen, als hätten sie die Weltmeere durchschwommen. Am meisten genießen die drei jedoch die Sommerferien in Possenhofen, in einer gemieteten Ferienwohnung direkt am Starnberger See bei Fischermeister Gebhardt. Hier zeigt sich eine weitere, heimliche Leidenschaft Pauls: Stundenlang sitzt er glücklich und zufrieden mit seiner Angelrute am Ufer, ohne auch nur ein Fünkchen Ungeduld zu verspüren. Das ist Frieden.
Paul hat ein großes Talent, aus der Angelei regelrechte Abenteuer werden zu lassen. Letztens bissen die Fische so gut an, dass er kaum hinterher kam. Einen Eitel nach dem anderen holte er aus dem Wasser, während sich immer mehr Neugierige um ihn herum versammelten. Pauls Stimmung steigerte sich mit jedem Beutefang, und in seinem Überschwang zog er so kräftig an der Angel, dass der nächste Eitel zum Vergnügen der Anwesenden im hohen Bogen auf einem Tannenwipfel landete!
Wenn Paul nicht gerade fliegende Fische angelt, sammelt er seine Beute im Eimer und trägt sie in die Ferienwohnung, wo Kater Fritzi schon sehnsüchtig wartet. Jede noch so kleine Bewegung von Paul wird nun genauestens verfolgt: wenn er die Fische wäscht, entschuppt und ausnimmt, um sie anschließend in die Pfanne zu werfen.
Bei gutem Wetter verbringen Paul, Lily und Felix den Abend auf dem Balkon, während Fritzi sich über die Reste des Abendessens hermacht und schließlich seinem Nachtisch, einem Nachtfalter, hinterherjagt. Bei schlechtem Wetter sitzen sie gemeinsam in der ofengeheizten Wohnstube, bewundern die während eines Spaziergangs gesammelten Orchideen oder amüsieren sich, wie sie tags zuvor über den Balkon geflüchtet sind, während an der Haustür Besuch aus München klingelte.
Vom Meister zum Professor
Paul gibt sein Wissen weiter – er ist inzwischen ein anerkannter Künstler.
I m Jahr 1920 nennt Paul eines seiner Bilder »Engel bringt das Gewünschte«. Es scheint ein wahres Glücksjahr zu werden! Nicht nur, dass seine Ausstellungen großes Aufsehen erregen und zahlreiche Bücher über ihn erscheinen, auch ein überraschendes Telegramm erreicht Paul: »Lieber, verehrter Paul Klee. Wir lassen einstimmig den Ruf an Sie ergehen, zu uns als Maler ans Bauhaus zu kommen.«
Bild 12
Eine engelhafte Figur mit großem roten Herz schwebt durch das Bild und bringt auf einem Tablett »das Gewünschte«. Dreht man das Bild allerdings um neunzig Grad nach links, wird aus dem Engel eine Kranke, die selbst der Zuwendung bedarf.
Ein Jahr zuvor hatte der berühmte Architekt Walter Gropius die neue Hochschule für Gestaltung ins Leben gerufen. Lyonel Feininger, Oskar Schlemmer, Johannes Itten – einen herausragenden Kunstrevolutionär nach dem anderen lockt der Direktor in die Thüringer Kleinstadt. Große deutsche Persönlichkeiten haben hier in den
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