Paul Klee - Die Lebensgeschichte
ein.
Die Fußschmerzen machen ihm allerdings zu schaffen; Pauls Fersen sind schon ganz abgescheuert von den steifen Stiefeln. Doch davon wird nicht gesprochen. Denn letztlich hat er es hier wohl recht gut getroffen, das versichert ihm jedenfalls der Haupt mann: Geradezu rosig würden ihm diese Zeiten noch einmal vorkommen! Hauptsache nicht ins Feld. Und nur nicht den Humor verlieren.
Doch was würde Paul ohne Lilys Briefe machen? Die anderen scherzen schon, da kein Tag vergeht, ohne dass Post für ihn eintrifft. Und bald kann er nicht mehr nur von den schönen Worten zehren, sondern Lily ganz real in seine Arme schließen: Er hat ein Zimmer ganz in der Nähe des Quartiers gemietet, um hier mit Frau und Sohn ein paar frohe sonntägliche Stunden zu verbringen. Damit alles fast so scheint wie immer, lässt er sich seine Alltagskleidung mitbringen. Außerdem hat Lily Pauls Geige, ein paar Bücher, Zeichenstifte und den Aquarellkasten dabei – für kleine Fluchten, große Hoffnungen …
Und weiter geht es mit dem militärischen Alltagstrott. Man wird abgerichtet wie ein Tier, übt feindliche Schützen erkennen, ausschwärmen, scharfschießen, freihändig schießen, gefechtschießen, schießen im Stehen, Knien, Liegen, Kriechen. Der Leutnant erlaubt sich auch allerhand Späße. Damit der Alltag ja nicht fad wird, lässt er seine Kompanie bei Nacht und Nebel am Bahndamm antreten und befeuern. Glücklicherweise daneben. Was hier Spiel sein soll, ist anderswo Ernst: Die neuen Helme kommen aus dem Feld, den Toten abgenommen, den Lebenden wieder aufgesetzt. Man gewöhnt sich an alles.
Nur nicht aufgeben
»Meine geliebte Lily! Wir sind hier. Vorläufig im Maxgymnasium, zweites Reserve-Infanterieregiment, erste Ersatzkompanie. Die andern liegen im Großen Wirt, wir im Turnsaal des Maxgymasiums. Es ist über all dem Warten einhalb fünf Uhr geworden, und erst ganz langsam beginnt das Einkleiden. Die Landshuter Lumpen gegen graue Halblumpen umgetauscht. Kann also noch lang gehen, bis ich drankomme. Daher nicht
wahrscheinlich, Euch heute noch zu sehen. Auswärts schlafen gewährt als Vergünstigung erst der Kompaniechef. Bis dahin Geduld! Das Quartier ist praktisch und geräumig. Abwarten, abwarten, abwarten«, schreibt Paul einige Monate später.
Er wird nach München versetzt, wo alles ein bisschen anders ist als in Landshut, aber irgendwie doch genauso. Wieder Schießübungen, nur etwas genauer; wieder Gefechtsübungen, nur etwas ernsthafter; wieder Reisemärsche, doch etwas strenger, Dutzende blieben am Wegesrand zurück. Einen herausragenden Vorteil hat der Standortwechsel allerdings – Paul kann seine freie Zeit jetzt zu Hause bei Lily und Felix verbringen.
Und in einem weiteren Punkt zeigt sich, dass Paul nun nicht mehr in der Provinz festsitzt: Seine Bekanntheit hat sich herumgesprochen. Der Kammerunteroffizier ist Mitglied im Kunstverein und meint in ihm sofort den Künstler erkannt zu haben, noch bevor er seinen Namen wusste. Nun zieht man den Hut, besser gesagt, den Helm vor Paul, und räumt ihm verschiedene Vergünstigungen ein.
Doch kaum hat er sich an diese Situation gewöhnt, folgt die nächste rätselhafte Versetzung: in die Fliegerersatzabteilung nach Schleißheim. »Sans’ froh, dass S’ von dere windigen Infanterie wegkommen … Grüß Gott, Klee, lassen’s sich’s gutgehn!!«
Was Paul nicht weiß: Das Abkommandieren nach Schleißheim ist Lily zu verdanken; sie hatte wirklich alles in Bewegung gesetzt, um ihm die Versetzung an die Front zu ersparen. Und da schon einige begabte Münchner Künstler gefallen sind, wird Paul tatsächlich geschont.
Wieder eine neue Graumontur, noch dazu neue Arbeit: Paul lackiert jetzt Wandtafelgestelle bunt und lasiert Flugmaschinen wieder schick. Außerdem begleitet er Flugzeugtransporte, die B.F.W. 3045 /16 oder die 3053 /16 mit Ersatzteilen, sitzt mit Proviant beladen in Güterzügen nach Köln, Hannover, Königsberg, Brüssel und Cuxhaven, kommt durch herrliche Landschaften mit Flüssen und Terrassenfeldern, durch Dörfer, Städte, schneebedeckte Berge, vorbei an weißen Kühen, schwarzen Schafen und gescheckten Pferden. Paul beobachtet, wie es Tag und tiefschwarze Nacht wird, wie der Regen an die Fensterscheibe peitscht.
Nach ungezählten Tagen und Nächten im Packwagen oder auf harten Holzbänken in kalten Bahnhofswartesälen erreicht Paul Cuxhaven. An der Nordsee empfindet Paul die Natur als Spiegel des Zustands der Welt: das dunkle, unheimliche Meer, der
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