Paul Klee - Die Lebensgeschichte
Bekannten seiner Eltern, bis er ein schönes Zimmer findet. Bei einer Arztwitwe, in der Amalienstraße 24 im Stadtteil Schwabing, erster Stock links. Ohne viel davon zu wissen, hat Paul in Schwabing viele künstlerische und lebenskünstlerische Nachbarn: den Schriftsteller und Kabarettisten Frank Wedekind, der mit seinen antibürgerlichen Werken für Aufregung sorgt, den prophetischen Dichter Stefan George und den Schriftsteller Thomas Mann. Man trifft sich im Café Größenwahn, eines der wenigen Lokale, in denen man bis in die frühen Morgenstunden zusammenhocken kann. Hier diskutieren der Dichter Joachim Ringelnatz, der Anarchist Erich Mühsam und der Revolutionär Ernst Toller, als ginge es um ihr Leben.
Von der Amalienstraße hat es Paul nicht mehr weit bis zur Kunstakademie. Sein erster Besuch bei Direktor Löfftz ist allerdings eine große Enttäuschung: Pauls Zeichnungen sind nicht gut genug. Er brauche Übung, viel, viel Übung, meint Löfftz und empfiehlt ihm Privatunterricht zur Vorbereitung auf die Akademie.
Paul ist neunzehn Jahre alt, als er in Knirrs private Kunstschule eintritt. Heinrich Knirr versucht seinen Schülern das Zeichnen nach dem Modell schmackhaft zu machen. Eine üppige Frau mit riesigen Brüsten sitzt in der Mitte des Zeichensaals und wartet geduldig auf Verewigung. Paul spitzt den Bleistift. Seine Begeisterung hält sich in wohlbemessenen Grenzen. Knirrs Reaktion auf Pauls Werk ebenso: »Da sag i einstweilen gor nix.«
Es ist aber auch verdammt schwer, das Aktzeichnen! Paul ist manchmal nahe daran zu verzweifeln. Warum wollen die verfluchten Linien einfach nicht stimmen und was sind das bloß für Proportionen, die nicht im Entferntesten an ein menschliches Wesen erinnern? Der reinste Pfusch. Doch er tröstet sich, bei den meisten anderen sieht das Ergebnis auch nicht viel besser aus. Und schließlich haben alle ein klares Ziel vor Augen: Akademieschüler werden bei Meister Stuck. Was Besseres gibt es nicht! Bis dahin gilt es noch allerhand zu lernen: Figürliches, Landschaften, Zeichnen, Malen in Öl, Aquarell und Pastell, Radieren …
Im Atelier sitzt Paul neben seinem alten Berner Schulfreund Hermann Haller, den er in München wiedergetroffen hat. »Skizzieren Sie nur frisch drauf los, einen Akt um den andern«, rät Knirr. So schaffen die beiden Schüler Seite an Seite Akt um Akt, Kopf um Kopf. Je länger Paul dabei ist, desto größer wird seine
Freude an der Arbeit. Und schließlich erntet er sogar Lob von Knirr, der ihm versichert, dass er in nicht allzu ferner Zukunft »scheene Sachen« machen werde.
Dabei hat Paul neben der Zeichnerei noch allerhand anderes im Kopf. Das freie Leben gefällt ihm nämlich außerordentlich gut! Die bunte internationale Künstlergemeinschaft bietet vielfältige Anregungen, ganz zu schweigen von Ausstellungsbesuchen, Theater, Oper und Konzerten – welch ungeahnte Genüsse! Heute »Don Giovanni« von Pauls geliebtem Mozart, morgen Wagners »Meistersinger«, übermorgen »Tristan und Isolde«. Zum ersten Mal in seinem Leben sieht er Vorstellungen, in denen es keine falschen Töne gibt, keine Unstimmigkeiten zwischen Sängern und Orchester und keine lächerlichen Dekorationen.
Die Abendstunden verbringt Paul im Biergarten und trinkt genüsslich ein gutes bayerisches Bier. Und bestellt eine weitere Mass – schließlich muss man sein Leben genießen! Für Heimweh bleibt da keine Zeit, und wenn es sich in der besonders gefährlichen Dämmerstunde doch heimlich heranschleichen will, findet Paul immer irgendeine Beschäftigung. Er liest Werke von Dostojewski und Gottfried Keller und vergisst dabei alles andere um sich herum. Eine besondere Vorliebe hat Paul für römische und griechische Klassiker, die studiert er im Original. Oder er schreibt Gedichte und begeisterte Briefe an seine Eltern, in denen er den Verlauf von Musikvorstellungen und Theateraufführungen minutiös wiedergibt.
Bild 1
Studentische Zeiten: Paul in München, 1911
Überhaupt ist Paul überzeugt, dass er möglichst viele Erfahrungen machen muss, um sich künstlerisch ausdrücken zu können. Dazu gehören natürlich auch Erfahrungen mit Frauen. Zeit, dass auch auf diesem Gebiet endlich etwas passiert! Seine bisherigen Annäherungsversuche an das weibliche Geschlecht waren nämlich nicht gerade von Erfolg gekrönt. Paul legt sogar ein Register an mit den Namen all der Geliebten, die er nie besessen hat. Von Zeit zu Zeit liegt es unter seinem Kopfkissen, wie ein schlechtes
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