Paul Klee - Die Lebensgeschichte
Bern, 1906
Das anhaltende Werben um Lily hat sich gelohnt: Die beiden sind jetzt verlobt. Heimlich verlobt, denn Medizinalrat Stumpf ist von Paul noch immer nicht sonderlich begeistert. Als Paul Lily endlich offiziell nach Bern einlädt, entgegnet ihr Vater zu Pauls Belustigung mit einem schriftlichen Fragenkatalog:
»1. Ist das Verhältnis, in welchem Sie zu Lily stehen, noch jenes Freundschaftsverhältnis, das es früher gewesen ist?«
Wenn der wüsste … !
»2. Wenn es sich in ein Liebesverhältnis verwandelt haben sollte, weiß ihre Frau Mutter davon?«
Schon mal was von mütterlichem Instinkt gehört?
»3. Ist die Einladung Lilys nach Bern seitens Ihrer Frau Mutter bereits auf Grund der Kenntnis der jetzigen Sachlage erfolgt?«
Und selbst wenn nicht, das lässt sich ganz fix regeln!
Medizinalrat Dr. Ludwig Stumpf schließt mit den Worten: »Bei Lilys impulsivem Wesen bin ich genötigt, jeglicher Gelegenheit, welche auf ihr Leben einen bedeutenden Einfluss gewinnen könnte, ein weit über den Durchschnitt gehendes Maß von Vorsicht entgegenzubringen …« – und verbietet Paul und Lily doch glatt das Wiedersehen!
Paul reißt sich zusammen und antwortet in aller Förmlichkeit: »Aus meinem Verhältnis zu Ihrer Tochter Fräulein Lily ist mit der Zeit das geworden, was sich nach dem strengen Wachstum der von vornherein innigen Beziehungen gut denken ließ, eine wahre Liebe, die ich Ihnen bei der gegebenen Gelegenheit um so lieber eingestehe, als sie mir dadurch geadelt erscheint.«
Und schickt hinterher: »Vor allem bin ich von der Unmöglichkeit überzeugt, dass von Menschenhand etwas gegen uns mit Erfolg unternommen werden kann.«
Zu dritt
Entgegen aller Einwände ist Paul nun Ehemann. Am Standesamt Bern musste er von einem verhutzelten Beamten noch allerlei Ermahnungen über sich ergehen lassen, und konnte dann endlich mit Lily durch die »verhüratete« Tür gehen. Und nicht nur das: Seit dem 30. November 1907 ist er außerdem stolzer Papa! Ein kleiner Felix ist es geworden, der die Eltern seither auf Trab hält.
Paul erinnert sich noch lebhaft an die ersten Monate, als er nachts im Halbschlafseinem lauthals schreienden Sohn die Flasche geben musste! Doch wenn sich Felix anschließend freute wie der Vollmond, war Paul augenblicklich wieder versöhnt.
Überhaupt ist Paul ein treu sorgender Familienvater geworden. Er kümmert sich um Haushalt und Erziehung, während Lily als Konzertpianistin und Musiklehrerin den Lebensunterhalt verdient: Eine höchst ungewöhnliche Arbeitsteilung im Vergleich zu den meisten ihrer Zeitgenossen.
Zu dritt bewohnen sie eine kleine Drei-Zimmer-Wohnung in München-Schwabing, im Gartengebäude der Ainmillerstraße 32, zweiter Stock rechts. Ein Wohnzimmer mit schweren Möbeln und einem Klavier, ein Schlafzimmer mit zwei Betten für drei und im langen dunklen Korridor eine ausgesuchte Bibliothek. Um die Schrift auf den Buchrücken zu entziffern und das richtige Werk herauszugreifen, kommt eine Gaslampe zu Hilfe. Des Weiteren ein Musikzimmer mit wunderbarem Blüthner-Konzertflügel, auf dem Lily ihren Schülern Allerlei beibringt.
Das Musikzimmer dient Paul und Lily außerdem als Ort für ihre abendliche Hausmusik. Mozart, Beethoven, Bach, Händel, Haydn und Schubert – seitdem die Musikhungrigen wegen Felix nicht mehr so oft aus dem Haus gehen können, laden sie auch gern zu vollendeten klassischen Konzerten ins heimische Wohnzimmer ein. Wenn es kalt ist, wird für Lilys großbürgerliche Freunde und für Pauls Künstlerfreunde der Kohleofen angeworfen.
Die große Küche mit gusseisernem Balkon, der im Winter als Eisschrank dient, hat Paul zu seinem Hauptarbeitsplatz auserkoren. Hier bereitet er mit Leichtigkeit und Freude kulinarische Köstlichkeiten: italienisch, französisch, meist fünf bis sechs Gänge.
Mehrere Sterne hat Felix ihm bereits verliehen! Besonders für den feinen Griesbrei, den Paul zu Felix’ Vergnügen mit einem Pinsel statt einem Kochlöffel anrührt und mit süßem Himbeersirup abschmeckt.
Wenn der Tisch abgeräumt ist, holen Vater und Sohn ihre Hausaufgaben hervor: Mal- und Zeichenutensilien für Paul, Rechen- und Schreibübungen für Felix, der sich tunlichst beeilt, denn Pinseln gemeinsam mit Papa ist viel lustiger. Egal, ob zu Hause oder auf ihren Wanderungen durch den Englischen Garten in die Hirschau, wo sie nach einem geeigneten Ort Ausschau halten, um sich auf Klappstühlen vor der Staffelei niederzulassen. Manchmal hat Paul sein
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