Paula Kussmaul laesst nicht locker
denken, dass sie nun zu Hause für alles zuständig sein würde. Sie habe auch zu tun. Vor allem, weil sie sich ja allmählich um ihre Lehrstelle kümmern müsse. »Sonst muss ich am Ende noch Schlagersängerin oder so was werden.«
Da lachte die Mutter nicht mehr. »Denkt doch nicht immer nur an euch«, schimpfte sie. »Ihr seid nicht allein auf der Welt.«
Eine Zeit lang war außer Linus' Pusten und Schlürfen nichts mehr zu hören. Obwohl die Kartoffelsuppe längst nicht mehr heiß war, tat er bei jedem Löffel, den er in den Mund nahm, als würde er sich sämtliche Eingeweide verbrennen, wenn er nicht vorsichtig genug war. Dann kam Katja mal wieder mit ihrem Lieblingsthema: »Mama! Weil du gerade von Luft und Liebe gesprochen hast – ich bräuchte 'n bisschen mehr Taschengeld.«
»Ich auch!«, war das Einzige, was die Mutter dazu sagte.
Katja blickte Jenny an – und die gab ihr Unterstützung: »Aber wir bekommen wirklich viel zu wenig. Alle anderen in meiner Klasse haben mehr. Man wird ja schon richtig bemitleidet. Wie 'ne arme Verwandte kommt man sich vor.«
Die Mutter ließ den Löffel sinken. »Können Vater und ich was dafür, dass wir nicht mehr verdienen? Sollen wir eine Bank überfallen? Oder hätten wir uns nicht so viele Kinder anschaffen sollen? Dann wärt ihr gar nicht auf der Welt, ihr armen Verwandten, und bräuchtet euch über nichts zu beschweren.«
Worte, die Katja und Jenny allen Wind aus den Segeln nahmen. Düster schwiegen sie vor sich hin, bis Linus der Mutter einen Gefallen tun wollte und aussprach, was sie sonst immer sagte: »Zwei so wichtige Berufe! Aber bezahlt wird man, als würde man gar nicht gebraucht.«
Da mussten alle lachen und damit war die gute Laune wiederhergestellt. Katja allerdings kuckte jetzt immer öfter zu Paula hin, und da ahnte die schon, was nun auf sie zukam. Und richtig, kaum waren sie mit dem Essen fertig, da begann die große Schwester auch schon: »Paulchen! Paulemaule! Kannst du deiner Lieblingsschwester nicht mal wieder zehn Euro leihen? Ich hab da vorhin so ein süßes T-Shirt gesehen. Ganz billig! Sonderangebot! Aber ich hab mir doch vorige Woche erst die neue Jeans gekauft. Und bis zum nächsten Taschengeld gilt das Angebot ganz bestimmt nicht.«
Paula hatte immer Geld, weil sie nur ganz selten welches ausgab. Bekam sie ihr Taschengeld oder drückte ihr Oma Moni bei einem ihrer Besuche Geld in die Hand, steckte Paula es immer gleich in ihren Sparelefanten. Da lag es dann, bis Katja oder Jenny mal wieder klamm waren. Paula lieh ihnen das Geld, aber sie achtete streng darauf, dass sie es irgendwann wiederbekam, ließ sich sogar einen Schuldschein unterschreiben. Wer weiß, vielleicht würde sie ihren Geldschatz eines Tages ja selber brauchen.
Auch diesmal bekam Katja ihre zehn Euro. Sie bedankte sich überschwänglich, ärgerte sich aber auch: »So eine Schande! Da ist man nun schon längst erwachsen und muss bei der kleinen Schwester betteln gehen.«
Paula streckte nur die Hand aus und da ärgerte sich Katja noch mehr. »Ja doch, Paulchen!«, rief sie. »Solange wir dich haben, kann uns nichts passieren.«
Kurz vor vier klingelte es bei Kussmauls. Hennie stand vor der Tür. Linus freute sich schon, weil Hennie gern mit ihm spielte. Und das mit viel mehr Spaß am Spinnen und viel mehr Geduld als Paula. Heute aber hatte Hennie keine Zeit für ihn.
Natürlich wollte Linus wissen, wo Paula und Hennie denn hinwollten. Doch das durften sie ihm nicht verraten. Sonst hätte er sicher mitgehen wollen. Bei einem so wichtigen Besuch aber hätte er nur gestört.
Enno hatte schon gewartet. Er war allein zu Hause. Seine Mutter, so sagte er, komme immer nur kurz zum Mittagessen und dann erst wieder um fünf nach Hause. Sie arbeite nun im Rathaus.
»Da hat sie's ja nicht weit«, sagte Hennie wie so eine alte Tante, die nett sein wollte.
Stimmt, von der Nr. 21 bis zum Rathaus waren es nur fünf Minuten. Das war sehr praktisch für Ennos Mutter. Alle drei fanden sie das – und dann wussten sie nicht mehr, was sie noch sagen sollten. Hilflos blickten sich die beiden Mädchen in der Fühmann'schen Wohnung um – und staunten: Wie viele Bilder hier an den Wänden hingen! Mal Malereien, mal Fotos. Aber immer waren fremdartige Landschaften darauf zu sehen – palmenumsäumte oder felsige Meeresbuchten, hohe Gebirgszüge, dichter Regenwald, weite Flusslandschaften – und manchmal auch sehr bunt gekleidete, braunhäutige Menschen mit seltsamen Hüten oder bunten
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