Paula Kussmaul laesst nicht locker
gefunden hätten. Mit verstauchtem Fuß, halb verhungert und verdurstet, in einer Laubhütte sitzend, die er sich mit letzter Kraft selbst gebaut hatte. Und das Wasser im Kiessee! Ganz klar sei es, riesige Hechte schwämmen darin herum und mächtige Krebse. Einer davon hätte Katja in den großen Zeh gezwickt und ihn nicht aus seiner Schere gelassen. Mit dem Schraubenschlüssel aus dem Auto hätten sie ihn erschlagen und dabei immerzu aufpassen müssen, nicht etwa Katjas Zeh zu treffen.
Ihr fielen noch ein paar Abenteuer ein, die nicht wirklich geschwindelt waren, weil ja Ähnliches tatsächlich passiert war, und so überstand sie das Begrüßungsgeprahle einigermaßen glimpflich.
Der Klassenraum war noch derselbe, und das »Steinchen« würden sie auch behalten, wie ihnen schon vor den Ferien verkündet worden war. Also würde es alles in allem nur ein großes Wiedersehen geben. Zwar waren sie eine Klasse weiter, letztlich jedoch blieb alles beim Alten. Ein beruhigendes Gefühl.
Paula und Hennie verzogen sich gleich wieder auf ihre alten Plätze. War ja klar, dass sie auch in diesem Schuljahr an einem Tisch sitzen würden. Alles andere wäre eine Sensation gewesen.
Kaum saßen sie, betrat das »Steinchen« die Klasse. Auch braun gebrannt, aber noch immer so groß und dick, kugelig und quirlig wie vor den Ferien. Sie trug eine zusammengerollte Landkarte unter dem Arm und strahlte erst mal einen nach dem anderen an, als hätte sie befürchtet, ihre Lieblingsklasse nie wiedersehen zu dürfen.
»Guten Morgen!«
Das war kein Gruß, das war eine Mischung aus Trompetenstoß, Zwitschern und Trällern.
»Guten Morgen!«, flöteten alle zurück. Sie blickten dabei aber gar nicht Frau Stein an, sondern den Jungen, der hinter ihr das Klassenzimmer betreten hatte. Ein kleiner Dunkelhaariger mit einem äußerst unglücklichen Gesicht war hinter ihr hereingetrottet; einer, der ganz aufgeregt auf einem Kaugummi herumkaute und auf den Paula beinahe schon gewartet hatte: Enno Fühmann; Manolitos Enno.
»Das ist er«, flüsterte sie Hennie zu.
»Wer?«
»Na der, der neu bei uns eingezogen ist.«
»Der Papagei?«
»Hähä!« Paula war nicht amüsiert. »Der Junge, dem der Papagei gehört.«
»Kann er auch zwinkern?« Hennie kicherte.
»Du bist blöd«, schimpfte Paula. Aber dann musste sie doch lachen. Sprechen hatte sie diesen Enno noch nie gehört, vielleicht war Zwinkern außer Kaugummikauen ja wirklich das Einzige, was er konnte.
»Das ist der Enno«, stellte das »Steinchen« den Jungen vor. »Er wird von nun an zu uns gehören. Und denkt nur, wo er zuletzt gelebt hat: in Lima! Ein seltsamer Name für eine Stadt, nicht wahr? Wer weiß, wo diese Stadt liegt?«
Nur Connie und Markus meldeten sich und Frau Stein nahm Markus dran. Der blies sich gleich auf: »In Südamerika. Direkt am Meer. Das Land heißt Peru. Mein Opa singt oft ein Lied: In Peru, in Peru, in den Anden ...«
Markus sang zwei Zeilen aus diesem Lied vor, und alles lachte, weil er dabei so ein verzücktes Schlagersängergesicht machte.
Frau Stein lachte mit und erklärte der Klasse, dass die Anden eine riesige Gebirgskette sind, die etwa achttausend Kilometer lang ist und sich durch fast ganz Südamerika und auch durch Peru zieht. Die Stadt Lima liege nicht weit von diesem oft schneebedeckten Gebirge entfernt und direkt am Pazifischen Ozean, dem größten Meer der Welt. Danach bat sie Enno, sich einen Platz zu suchen, und weil der Platz neben Markus noch frei war, setzte Enno sich gleich neben ihn. Vielleicht aber auch nur, weil Markus so genau gewusst hatte, wo die Stadt lag, aus der er kam.
Gleich darauf rollte das »Steinchen« die mitgebrachte Weltkarte aus und zeigte allen noch einmal ganz genau, wo dieses Peru lag und wie weit die Stadt Lima von Bakenburg entfernt war. Enttäuschung machte sich breit: Im Jahr zuvor hatte das »Steinchen« in der ersten Stunde nach den großen Ferien alle erzählen lassen, wo sie die Ferien verbracht hatten – jetzt sprach sie nur von diesem Lima, alles andere war ihr wohl nicht weit genug.
»Und wisst ihr denn auch, welche Sprache in Peru gesprochen wird?« Diesmal blickte Frau Stein nur Connie und Markus an. Markus wusste es nicht. Aber Connie, die Leseratte, die Bücher naschte wie andere Leute Süßigkeiten, pustete sich die weißblonden Haare aus der Stirn und sagte leise und etwas verlegen, weil sie mal wieder Bescheid wusste: »Spanisch.«
Kaum hatte sie es gesagt, kuckten alle zu Sascha hin. Seine
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