Pedro Juan Gutiérrez
sie sich bloß in diesen Irren verlieben? Dann war sie in der Miliz, das Ten Cent wurde geschlossen, die Amerikaner schlurften nach Hause, und sie heiratete, weil sie schwanger war. Wie dieser Idiot sie geschlagen hatte, sogar als sie hochschwanger war. Sie hatte sich nie erklären können, warum sie nicht abgetrieben hatte. Was war wohl jetzt im Ten Cent?
Um sie herum schlichen andere Verrückte, Obdachlose, Bettler, Frauen, die irgendwelche Schweinereien an Passanten verkaufen wollten, zwei, drei Exhibitionisten, die ihr halb aufgerichtetes bestes Stück den verrückten Weibern und Bettlerinnen vorführten und sich an ihnen erregten. Tita bekam von diesem ganzen Durcheinander nichts mit, war völlig lethargisch. Sie hielt ihre Hand auf und bettelte die Passanten an. Sie wollte sich Zigaretten und Kaffee kaufen, das Einzige, was sie brauchte. Und das sagte sie leise immer wieder.
»Gib mir ein bisschen Geld für Kaffee und Zigaretten, sei so gut, um Gottes Lohn. Die Menschen sollten respektvoll miteinander umgehen. Gib mir ein bisschen Geld, aber bitte höflich. Seid nett zu mir, tut mir nicht weh.«
Niemand hörte sie. Sie sprach leise, artikulierte jedoch sorgsam jedes Wort, mit einem ständigen, entspannten Lächeln, wie man es ihr damals in den Kursen des Ten Cent beigebracht hatte.
Chicha las den heldenhaften Artikel über die Baikal-Amur zu Ende und fragte sich, warum Tita nicht mit dem verdammten Stückchen Brot zurückkam. Sie dachte daran, ihr ein für alle Mal zu verbieten, zu ihr zu kommen. »Ich muss sie endlich vor die Tür setzen. Sie darf nicht mehr kommen, sonst werde ich noch genauso verrückt wie sie. Sie macht mich wahnsinnig, und sie sitzt quietschvergnügt da, als ob nichts wäre, raucht Zigaretten und trinkt Kaffee. Damit ist jetzt Schluss! Ich muss von ihr weg. Am besten gebe ich dieses Zimmer ab und gehe in ein Heim.« Einen Moment lang blieb sie nachdenklich mitten im Raum stehen. Seit Monaten schon spielte sie mit dem Gedanken, konnte sich aber nicht recht entschließen. »Doch, jetzt werde ich gehen. Schließlich brauche ich sie wirklich nicht mehr, und außerdem habe ich nicht mehr die Kraft, sie zu ertragen.«
Sie ging zu einem kleinen Schrank und zog eine Schublade auf. Unter einem Stapel schmutziger Wäsche kramte sie einen amerikanischen Revolver hervor, einen Colt, den ihr einmal ein hoher Offizier geschenkt hatte, gleich zu Anfang der Revolution. Solche Waffen wurden nicht mehr benutzt, gehörten zur militärischen Ausstattung vor der Revolution, aber der Colt war in einwandfreiem Zustand. Sie hatte ihn immer gereinigt und gefettet. Eine Schachtel Munition mit dreißig Patronen lag daneben. Sie schüttete sie in einen Krug und füllte Wasser hinein, damit die Patronen rosteten und sich nach und nach zersetzten. Dann versteckte sie den Krug unter dem Bett und überlegte, dass sie einen Hammer brauchte, um die Pistole in Stücke zu schlagen. Doch woher sollte sie einen Hammer bekommen? Sie verwahrte die Waffe wieder unter der Wäsche, schob die Schublade zu und setzte sich in den abgewetzten Sessel an der Tür. Der
Mann draußen schleppte immer noch Ziegelsteine heran, eine wandelnde Skulptur aus Stein und Zement, eine unablässig mit Ziegelsteinen beladene Statue.
Immer ist ein Arschloch in der Nähe
Der alte Cholo hörte auf, seine Bücher vom Boden des Eingangsflurs aufzusammeln. Es waren Tausende gebrauchte Bücher. Er verwahrte sie in Kisten und trug sie in sein schäbiges Zimmer. Dann hob er eine schmutzige, verrostete Dose auf, schloss die Tür, verriegelte sie und zog los, um etwas zu essen. Von der Ecke Carlos III. und Belascoaín bis zur Ecke Cuba und O'Reilly sind es sechsundzwanzig Häuserblocks. Eilig legte er sie zurück, ging rasch die Reina hinunter bis Monserrate und bog an der O'Reilly rechts ab. Es war fast sieben Uhr abends, als er an der Cuba ankam. Die Verkäuferin, schlecht gelaunt wie immer, schnauzte ihn mit denselben Worten an wie immer:
»Wieder mal spät, Cholo! Immer bist du der Letzte, verdammt noch mal! Da, das ist alles, was ich noch habe.« Sie schüttete ihm etwas Reis mit dicken Bohnen in die Dose und kritzelte auf der Liste mit den Freikostempfängern der Sozialhilfe ein Kreuz neben seinen Namen. »Mehr gibt es nicht? Sieh doch mal nach, ob du nicht noch etwas anderes für mich auftreiben kannst, mach schon!«
»Mehr gibt es nicht! Heute biste echt gekniffen, komm nächstes Mal früher.«
Er ging hinaus und setzte sich auf
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