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Peehs Liebe

Peehs Liebe

Titel: Peehs Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Scheuer
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Teil 1
    M ein Name ist Rosarius Delamot. Ich bin mit dem Delamot verwandt, der in Kall ein Friseurgeschäft hatte. Kathy, meine Mutter, schickte mich alle zwei Monate zu ihm in den Salon. Delamot schnitt mir und auch Kathy die Haare gratis, das heißt, mir schor er alle meine fuchsroten Haare, weil er meinte, dass mir eine Glatze am besten stehe. Danach schickte er mich gleich wieder raus, ihm ging mein ständiges Summen auf die Nerven, das in den ersten dreiundzwanzig Jahren meines Lebens meine einzige sprachliche Äußerung blieb. Meine Haare kehrte Delamot, wie auch die Haare seiner anderen Kunden, in eine Ecke. Dort war unter dem Abfalleimer ein tellergroßes Loch im Boden versteckt, durch das sämtliche Haare in den dunklen Keller hinabschwebten.
    Kathy hatte mir den ausgefallenen Vornamen Rosarius gegeben, weil ihr Ururgroßonkel so geheißen hatte. Sie war stolz auf diesen Vorfahren gewesen, der Anfang des 19. Jahrhunderts durch die Eifel gezogen war, um Mausefallen und andere Haushaltsgegenstände zu verkaufen. Der Ururgroßonkel hatte ständig neue Methoden ausgetüftelt, wie man Mäuse am besten fing. Heute kann man sich nicht mehr vorstellen, wie wichtig gut funktionierende Mausefallen einmal waren. Unser Vorfahre war aber auch Dichter, Sänger und Revolutionär gewesen, der irgendwann nach Brasilien ausgewandert war, weil er wegen staatsfeindlicher Umtriebe eingekerkert und füsiliert werden sollte. Kathy erzählte von alten Briefen, in denen er berichtet habe, wie er in Brasilien zusammen mit Alexander v. Humboldt den Amazonasund den Orinoko befahren habe. Angeblich sei er mit Humboldt auf der Schildkröteninsel und auf dem Chimborazo gewesen. Kathy meinte, ohne ihn wären Humboldt und Bonpland niemals bis auf den Gipfel gekommen, und er sei allein, anders als die beiden, bis auf die eisige Bergspitze geklettert. Kathy erzählte auch von meinem Vater, der Archäologe gewesen sei und alle Straßen des Römischen Imperiums habe kartieren wollen. Zuletzt habe er nach einer Straße gesucht, die 300 nach Christus in gerader Linie von Kastell zu Kastell durch die Wüste von Resafa bis zum Euphrat geführt hätte. Wegen dieser, irgendwo unter dem Sand verborgenen, römischen Militär- und Handelsstraße habe der Archäologe uns verlassen.
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    In Rosarius’ Zimmer auf der Risahöhe lagen überall zerlesene Bücher mit Kommentaren an den Rändern oder über den Text gekritzelten Bemerkungen, kleine Zeichnungen, Hefte, in die er in den letzten Jahren Tausende Wege- und Straßennamen geschrieben hatte. Pilgerpfade, Kieswege, Namen von kopfsteingepflasterten Wegen für marschierende Truppen und Pferde, für den Verkehr mit Ochsenkarren. Tabula Peutingeriana, Straßen, die von China durch den Orient bis nach Europa führten, keltische Wege, Wege aus der La-Tène-Zeit, Via Militaris, Via Publica, Via Privata, alle Straßen des Römischen Imperiums, Via Claudia Augusta (15 v. Chr., erbaut unter Drusus) vom Veneto über Verona, Bozen (Pons Drusi), Meran (Statio Maiensis), durch den Vinschgau, über den Reschenpass, über Finstermünz und den Fernpass, über Füssen (Foetes) nach Augsburg (Augusta Vindelicorum), von dort über die Alpen nach Italien über die Via Raetia über Partenkirchen (Parthanum), Mittenwald (Scarbia) nach Innsbruck (Veldidena), über den Brenner nach Verona. Straßen, die vom Altertum bis in die Gegenwart Städte und Siedlungen miteinander verbanden. Straßen durch Wüsten, an Meeresküsten entlang, ein riesiges Spinnennetz aus Pfaden, Gassen, Schotterstraßen, Ringstraßen, holprigen Feldwegen zwischen Dörfern, aber auch Fernstraßen zwischen Metropolen, Straßen durch Wälder und Felder, durch alle Länder unserer Gedanken und Träume.
    â€¦
    Als Annie im März 2002 zum ersten Mal das Zimmer von Rosarius betrat, murmelte dieser immerzu «Peeh», ein Laut, über den sie sich zunächst wunderte. Sie wusste damals noch nicht, dass Peeh der Name der Frau gewesen war, die Rosarius sein Leben lang geliebt hatte, wusste noch nicht, dass sie von seiner Lebensgeschichte in den Bann gezogen werden würde, von bruchstückhaften Erinnerungsbildern, von leise dahingemurmelten Wörtern, einem Singsang, dem sie bald aufmerksam lauschte, bald folgte wie Sirenenklang.
    Wie Annie später erfahren sollte, war Rosarius kurz vor dem Krieg, im

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