Pelagia und der rote Hahn
hatte Pelagia tatsächlich gedacht. Erst vor einem halben Jahr, nach dem Tode von Schwester Christina, hatte der Bischof ihr die Stelle der Leiterin der Sawolshsker Mädchenschule übertragen, und innerhalb dieser kurzen Frist hatte Pelagia so viele Reformen eingeführt, dass sie sich bereits den Unwillen der Synodsleitung zugezogen hatte. Sie war fest entschlossen gewesen, jede ihrer Neuerungen mit ihrem Blute zu verteidigen, und hatte sich für diesen Fall mit einer Unzahl unwiderlegbarer Argumente versehen. Aber als die Rede auf Vidocq und irgendeinen mysteriösen Sherlock kam (sicher auch so ein Schnüffler wie dieser berühmte Franzose), geriet sie vollkommen durcheinander.
Konstantin Petrowitsch zog jetzt einen Bogen Papier aus einem Kalikoaktendeckel, ließ seinen dürren weißen Finger suchend über die Zeilen wandern und brachte ihn schließlich an einer bestimmten Stelle zum Halten.
»Sagen Sie, Schwester, Sie haben nicht zufällig schon mal von einer gewissen Polina Andrejewna Lissizyna gehört? Eine außerordentlich kluge Person, wie man hört, und zudem ungewöhnlich mutig. Diese Dame hat gerade erst vor einem Monat der Polizei einen unschätzbaren Dienst bei der Aufklärung des grauenvollen Mordes an dem Oberpriester Nektari Satschatjewski erwiesen.«
Er hob den Kopf und heftete seine Eulenaugen auf Pelagia.
Diese stammelte errötend:
»Das ist meine Schwester . . .«
Der Oberprokuror schüttelte missbilligend den Kopf:
»So, Ihre Schwester? Da habe ich aber ganz andere Informationen.«
Er weiß alles, dachte die Nonne. Welche Schande! Aber am meisten schämte sie sich, dass sie gelogen hatte.
»Jetzt lügen Sie auch noch. Sie sind mir eine vorbildliche Braut Christi«, sagte Pobedin und legte damit noch den Finger in die Wunde. »Eine Detektivin im Nonnenhabit. Was soll man davon halten?«
Im Blick des mächtigen Mannes lag allerdings weniger Zorn als Neugier. Das war immerhin eine kleine Sensation – eine Ordensschwester, die Verbrecher jagte.
Pelagia gab das Leugnen auf. Sie schlug die Augen nieder und versuchte zu erklären:
»Verstehen Sie, Eure Exzellenz, wenn ich dabei Zusehen muss, wie das Verbrechen triumphiert oder man einen Unschuldigen anklagt, wie es sich in dem von Ihnen erwähnten Falle zugetragen hat . . . Oder wenn jemand in Lebensgefahr schwebt . . .« Sie kam ins Stocken, und ihre Stimme begann zu beben. »Dann ist es mir hier, genau an dieser Stelle«, die Nonne legte ihre Hand aufs Herz, »als wäre dort eine glühende Kohle. Und sie glüht und brennt und lässt mir keine Ruhe, bis der Wahrheit zu ihrem Recht verholfen worden ist. Ich weiß, ich sollte beten, wie es sich für meinen Stand gehört, aber ich kann es nicht. Denn Gott erwartet doch nicht von uns, dass wir untätig sind und nur müßig jammern und wehklagen, sondern dass wir den Menschen beistehen – ein jeder nach seinem Vermögen. Und ER wird erst dann in den Verlauf der irdischen Geschicke eingreifen, wenn uns Menschen im Kampf gegen das Böse die Kräfte versagen . . .«
»So, so, es brennt, sagen Sie; genau hier?«, erkundigte sich Konstantin Petrowitsch. »Und beten können Sie nicht? Oh, oh, oh, das ist der Teufel, der in Ihnen sitzt, Schwester. Alle Symptome sprechen dafür. Sie haben im Kloster nichts verloren.«
Pelagia ließen diese Worte zu Eis erstarren, und Mitrofani eilte ihr hastig zu Hilfe:
»Eure Exzellenz, Sie ist unschuldig. Es geschah auf meine Anordnung hin. Sie tat es mit meinem Segen.«
Darauf hatte das Oberhaupt des Synods anscheinend nur gewartet. Das heißt, dem äußeren Anschein nach hatte er es ganz und gar nicht erwartet, vielmehr gab er sich aufs Höchste erstaunt. Er hob die Hände in einer stummen Gebärde, als wollte er sagen: Nein, das glaube ich nicht. Sie?! Sie?! Der oberste Hirte des Gouvernements?
Es hatte ihm anscheinend die Sprache verschlagen. Sein Antlitz erblasste, und seine Lider schlossen sich gramvoll. Nach einer Weile sagte er müde:
»Gehen Sie jetzt, Eminenz. Ich werde den Herrgott bitten, mir einzugeben, was ich mit Ihnen tun soll . . .«
So also war das Gespräch in Petersburg verlaufen, und bisher wusste niemand, was für Folgen daraus erwachsen würden, anders gesagt, welche Eingebung der Oberprokuror bezüglich der Sawolshsker »Fraktion« vom Allerhöchsten empfangen würde.
»Wir sollten Konstantin Petrowitsch Gehorsam entgegenbringen«, brach Usserdow das Schweigen. »Es gereicht niemandem zur Schande, sich einem solchen Mann in Demut zu
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