Pellkartoffeln und Popcorn
geraumer Zeit mit Schillers heroischer Amazone und konnten mit einiger Berechtigung annehmen, daß wir sie noch einmal gründlich würden ausschlachten müssen, bevor sie zu den Akten gelegt werden konnte. An dem entscheidenden Morgen wachte ich mit Kopfschmerzen auf, und als ich ins Bad wankte, grinste mich im Flurspiegel ein Gesicht an, das offensichtlich in nähere Berührung mit einem angriffslustigen Bienenschwarm gekommen war. Die medizinisch vorgebildete Omi diagnostizierte der Reihe nach Masern, Scharlach und Röteln, ließ sich aber von der kinderreichen und daher kompetenteren Frau Hülsner überzeugen, daß es sich lediglich um Windpocken handelte. Egal, das Kind war krank und gehörte ins Bett! Das Kind wollte nicht und verwünschte Omi in allen Tonarten, weil sie durch ihre übertriebene Besorgnis in früheren Jahren verhindert hatte, daß es die unumgänglichen Kinderkrankheiten in einem angemessenen Alter bekommen konnte. Mit 14 Jahren kriegt man keine Windpocken mehr!
Nachmittags tauchte Gina auf, um zu ergründen, welches schul schwänzende Leiden mich denn befallen hätte. Sie hatte die Windpocken natürlich schon längst hinter sich, fürchtete keine Ansteckung und gab mir einen anschaulichen Bericht des ereignisreichen Vormittags.
»Sei froh, daß du nicht mitzuschreiben brauchtest. Wir sollten die Charaktere von Johanna und dem Dauphin zerpflücken und in Relation zu ihren späteren Handlungen setzen. Nach meiner Ansicht war der Knabe sowieso völlig charakterlos, aber vielleicht reicht es doch noch zu einer Drei.«
Vier Tage später marschierte ich wieder zur Schule. Quasi beäugte mißtrauisch mein Streußelkuchengesicht, erkundigte sich besorgt, ob ›das noch ansteckend‹ sei und erklärte mir dann, daß ich den versäumten Aufsatz selbstverständlich nachschreiben müsse. Damit hatte ich gerechnet und mich auf meinem Krankenlager ausgiebig mit den anderen Personen beschäftigt, denn die Johanna würde ich ja bestimmt nicht charakterisieren müssen.
»Allerdings sehe ich im Augenblick keine Möglichkeit, wie du die Arbeit hier in der Klasse schreiben könntest«, überlegte Quasi weiter. »Ich glaube, am besten wird es sein, wenn du zu mir nach Hause kommst.«
Ich starrte sie entsetzt an. »Das ist unfair!«
»Wieso? Du wirst völlig ungestört sein.«
Irene, die sich als Klassensprecherin für das Allgemeinwohl verantwortlich fühlte, protestierte gegen die vorgesehene Einzelhaft und prophezeite meinen psychischen Zusammenbruch.
»Jetzt stellt euch nicht so an, ich werde sie schon nicht auffressen!«
Dann erkundigte sie sich nach meinen außerschulischen Verpflichtungen, und weil ich den geplanten Kinobesuch kaum als Entschuldigungsgrund vorschieben konnte und bedauerlicherweise auch gerade keine neue Dekade anfing, wurde ich für den Nachmittag desselben Tages zur Klausur befohlen.
Auf dem Nachhauseweg war ich der absolute Mittelpunkt. Sogar Evchen und Sigrun, die normalerweise einen ganz anderen Schulweg hatten, änderten ihr Route und schlossen sich der Prozession an. Ich wurde mit guten Ratschlägen eingedeckt, die von ›Am besten gibst du einen leeren Zettel ab‹, bis zu ›Täusch doch einfach einen Rückfall (gemeint waren die Windpocken) vor‹ reichten und in dem Vorschlag gipfelten, notfalls vom Balkon zu springen. Allmählich kam ich mir vor wie ein Delinquent, der kurz vor seiner Hinrichtung steht. Um zwei Uhr kam Gina, um mich auf dem Weg zum Schafott zu begleiten. Ich hatte Gummiknie und wünschte Quasi ins Pfefferland!
Die nächsten Stunden waren ein Alptraum! Ich wurde zwar sehr freundlich empfangen, auf den Balkon geführt (eine flüchtige Prüfung der Höhe ließ immerhin hoffen, daß ich selbst im ungünstigsten Fall mit einem einfachen Beinbruch davonkommen würde) und unter einem Sonnenschirm geparkt. Aber dann kam das dicke Ende! Quasi eröffnete mir seelenruhig, sie könne mir natürlich nicht dasselbe Aufsatzthema geben wie meinen Mitschülerinnen, die mich zweifellos informiert hätten, und was ich denn von Luftballons und Seifenblasen hielte?
Wie bitte???
»Du beklagst dich doch immer, daß dir die Aufsatzthemen keinen Spielraum geben. Jetzt kannst du deiner Fantasie die Zügel schießen lassen!«
Im allgemeinen bin ich nicht gerade auf den Mund gefallen; aber jetzt verschlug es mir doch die Sprache! Da kannte ich nun meine Jungfrau in- und auswendig, konnte auf Wunsch jedes einigermaßen bekannte Zitat herunterleiern einschließlich des endlosen
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