Pellkartoffeln und Popcorn
übrigen war mir schon alles egal. Ich freute mich nicht einmal mehr auf die Osterferien, weil ich fest damit rechnete, bis über die Ohren mit Lehrstoff eingedeckt zu werden. Den anderen ging es ebenso. Um so größer war unsere Überraschung, als Quasi am letzten Schultag verkündete: »Ich glaube, wir haben es geschafft! Nach den Ferien können wir wieder zum normalen Lehrplan zurückkehren. Und glaubt nur nicht, daß mir die letzten Monate etwa Spaß gemacht haben. Manchmal habt ihr mir sogar leidgetan.«
Anschließend bliebe noch zu bemerken, daß bei mir trotz aller Anstrengungen Hopfen und Malz verloren waren. Mir sind die Feinheiten der französischen Sprache bis heute verschlossen geblieben, obwohl sich Quasi redliche Mühe gegeben hat, meine Leistungen dem allgemeinen Niveau der Klasse anzugleichen. Ihre Schuld war es also ganz bestimmt nicht, wenn ich bei dem ersten Versuch kläglich scheiterte, meine bis dahin theoretischen Kenntnisse in die Praxis umzusetzen.
Es war in einem Restaurant in Brüssel, wo ich mich vergeblich bemühte, dem Kellner meine Wünsche begreiflich zu machen. Schließlich rutschte mir auch noch ein »zum Kuckuck, was heißt denn nun wieder ›trinken‹ auf französisch?« heraus, worauf der Schwarzbefrackte hilfsbereit meinte: »Vielleicht sprechen Mademoiselle lieber deutsch mit mir, denn ich verstehe es ein wenig.«
36
Silvester 1947. Zum erstenmal prosteten wir uns wieder mit Sekt zu – Spende von Sergeant Shreevs und eigentlich als Weihnachtsgeschenk für ›dear Ireen‹ gedacht –, ein paar Unverbesserliche, die von der Knallerei noch immer nicht genug hatten, jagten ein halbes Dutzend Feuerwerkskörper in die Luft; und wir hofften mal wieder, daß nun alles besser werden würde. Mami gelobte zum soundsovielten Mal, sich endlich das Rauchen abzugewöhnen und vergaß ihr Gelöbnis diesmal erst nach drei Tagen; Omi beschloß, sich nun endgültig von ein paar Exemplaren ihrer Kristallsammlung zu trennen, für die es schon seit längerem amerikanische Interessenten gab, und ich nahm mir vor, in Zukunft regelmäßig Schularbeiten zu machen. Mein letztes Zeugnis hatte mir von Opa lediglich zwei Mark und von Omi eine Ohrfeige eingetragen. Die einstige Musterschülerin war zum unteren Durchschnitt abgesackt.
Zilligs bereiteten ihren Umzug nach Düsseldorf vor. PW hatte den Betrieb wieder auf die Beine gestellt, eine Wohnung sowie Zuzugsgenehmigung, Umzugsgenehmigung, Transportgenehmigung und die übrigen unerläßlichen Papiere besorgt und meiner Mutter den Vorschlag gemacht, nachzukommen. »Soweit ich das übersehen kann, gibt es über kurz oder lang eine Währungsreform, und danach geht auch der Export wieder los. Dann kann ich dich gut gebrauchen. Wenn du in Berlin bleibst, sitzt du ohnehin ewig auf einem Pulverfaß.«
Von einer Währungsreform wurde jetzt immer häufiger gemunkelt, ich konnte mir nur nichts darunter vorstellen. Opi erklärte mir die Sache sehr gründlich, sprach von Geldaufwertung, eingefrorenen Bankguthaben und Kapitalrendite, aber nach Beendigung seines halbstündigen Vortrags war ich genauso schlau wie vorher. Mami machte es kürzer. »Du mußt dir vorstellen, daß es von Ölsardinen bis zu Abendkleidern wieder alles zu kaufen gibt, nur wirst du dann nicht das Geld haben, um dir auch wirklich alles kaufen zu können!« Aha! Leider überstieg die Vorstellung von gefüllten Schaufenstern und einem reichhaltigen Warenangebot meine Fantasie, und folglich blieben mir die prophezeiten Folgen der Währungsreform so lange schleierhaft, bis sie dann tatsächlich kam.
Noch freuten wir uns über jeden kleinen Fortschritt, der uns einem normalen Leben näherbrachte. Wir bekamen Fensterscheiben und mußten uns erst an die ungewohnte Helligkeit in den Zimmern gewöhnen. Es gab endlich wieder Bücher zu kaufen und jede Menge Tageszeitungen. Die Elefanten im Zoo waren jetzt ständig zu besichtigen und nicht nur stundenweise, weil sie keine Trümmer mehr wegräumen mußten; Züge, Straßenbahnen und Omnibusse fuhren regelmäßig, es gab wieder eine Straßenreinigung und eine Müllabfuhr.
Zwar gab es auch weiterhin Lebensmittelkarten, die immer kleiner wurden, weil man nur noch selten bekam, was aufgedruckt war, sondern meistens das nehmen mußte, was gerade zur Verfügung stand: Fisch statt Fleisch oder
Kartoffelpulver statt Nudeln –, und es gab immer noch die Gas-Kontingentierung und die Stromsperren. Letztere wirkte sich besonders bei uns als erwerbsmindernd aus,
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