Perdido - Das Amulett des Kartenmachers
Brust.
Bartolomeu Diaz fuhr mit zwei Schiffen los. Als sein Kartograf segelte Walter im Flaggschiff voraus, während Jack auf dem Versorgungsschiff Dienst schob. Nach wenigen Monaten hatten sie die tückischen Meere des Südens durchquert und die Spitze Afrikas umsegelt. Diaz taufte sie ›Kap der Guten Hoffnung‹.
Kurz nachdem die Expedition den Heimweg angetreten hatte, gerieten sie in einen fürchterlichen Sturm, den schlimmsten, den die Seeleute je erlebt hatten. Riesenhohe Wellen warfen die Schiffe umher wie welkes Laub, gewaltige Brecher türmten sich über ihnen auf und schlugen brodelnd und schäumend über den Decks zusammen. Die Matrosen flüchteten sich unter Deck und flehten die Meeresgötter um Erbarmen an.
Nach vielen Tagen verzog sich der Sturm und Walter begleitete Diaz an Deck. Im Norden war der Horizont unbewegt – eine gerade, undurchbrochene Linie. Anschließend ließ Walter den Blick nach Süden, Osten und Westen schweifen und ihm dämmerte Schreckliches. Verzweifelt suchte er immer wieder den ganzen Horizont ab, während ihm Panik die Kehle zuschnürte. Aber er konnte beim besten Willen nichts erspähen und seine schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich. Das Schwesterschiff war nicht mehr da.
Sie suchten tagelang, aber schließlich mussten sie sich in das Offenkundige fügen. Jacks Schiff war verschollen, höchstwahrscheinlich untergegangen.
Als Walter heimkehrte, ging er geradewegs zu Jacks Frau, um ihr die schlimme Nachricht zu überbringen. Aber in ihrem Haus wohnte inzwischen eine andere Familie, und Walter erfuhr, dass Hugos Mutter kurz nach der Abfahrt ihres Mannes krank geworden war. Die Ärzte hatten ihr Möglichstes getan, hatten sie sogar mit Blutegeln zur Ader gelassen, um die tückische Krankheit auszusaugen, aber es hatte nichts geholfen. Hugos Mutter war gestorben.
Im Arbeitshaus für Waisen entdeckte Walter den müden, abgemagerten, todtraurigen Hugo. Er hatte eine rote Schwiele in der Handfläche, weil er sein Holzfigürchen jede Nacht fest umklammert hielt. Walter bestand darauf, für seinen kleinen Neffen zu sorgen. Erst war der Waisenhausvorsteher nicht bereit, Hugo gehen zu lassen, weil der Kleine so fleißig arbeitete. Walter machte sich sogar erbötig, die angefallenen Auslagen zu begleichen, doch der Vorsteher verweigerte sein Einverständnis. Erst als Walter sein Angebot drastisch erhöhte und dem Vorsteher praktisch seine gesamten Ersparnisse in Aussicht stellte, willigte der Mann ein, den kleinen Hugo gehen zu lassen.
So kam es, dass Hugo zu seinem Onkel zog. Walter gab das Reisen auf, obwohl man ihm immer wieder verlockende Offerten machte. Er lehnte sogar ab, als ihm Christoph Kolumbus anbot, auf der Santa Maria mitzufahren.
Anfangs hatte Walter das Leben als fahrender Kartenzeichner schmerzlich vermisst und damit einhergehend die beträchtliche Befriedigung, die er empfunden hatte, wenn er wieder einmal eine neue Einzelheit zu der ersten Weltkarte beitragenkonnte, die diesen Namen zu Recht trug. Aber er fühlte sich für das Schicksal seines Bruders verantwortlich und hatte sich geschworen, sich um Hugo zu kümmern. Das Seefahrerleben war viel zu gefährlich für einen Jungen in Hugos Alter.
Walter war fest entschlossen, Hugos Neugier auf die Welt jenseits von Englands Küsten im Keim zu ersticken. Jedes Mal wenn ihn sein Neffe nach seinen Abenteuern fragte, wechselte er das Thema. Er hatte alle seine Karten und Schaubilder zusammengesucht und zusammen mit den Kartografeninstrumenten in seinem Arbeitszimmer weggeschlossen.
Seither versuchte Walter, sein täglich Brot mit dem Verkauf von Stadtplänen zu verdienen. Aber das Geschäft lief schlecht. Kein Mensch brauchte eine Karte, um sich hier zurechtzufinden. Es gab nur eine Hauptstraße, und dass man sich verlief, war so gut wie ausgeschlossen.
Ohne regelmäßiges Einkommen und ohne Aussicht auf eine feste Arbeit musste Walter die Miete und Hugos Unterhalt von dem wenigen Ersparten bestreiten, das ihm geblieben war. Das Geld war knapp, aber Walter und Hugo waren zufrieden und glücklich. Walter half Hugo bei den Hausaufgaben, Hugo brachte Walter das Schachspielen bei. Hin und wieder bettelte der Junge, der Onkel möge ihn doch auf eine Forschungsreise mitnehmen.
»Du weißt, was ich von Forschungsreisen halte«, erwiderte Walter jedes Mal, wobei seine freundlichen Augen hinter den runden Brillengläsern aufblitzten. »So etwas ist viel zu gefährlich.«
Als Essen und Trinken verteilt waren,
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