Perfekt! Der überlegene Weg zum Erfolg (German Edition)
seine vielen Studien und Wanderungen vom Weg abgekommen.
Im Jahr 1955 ging Miles Davis – Leiter des damals berühmtesten Jazz-Quartetts – das Risiko ein und bat Coltrane in seine Gruppe. Davis wusste wie jeder andere, dass Coltrane der technisch brillanteste Spieler war, den es damals gab. Das stundenlange Üben hatte sich ausgezahlt. Aber Davis erkannte in Coltranes Musik noch etwas anderes, eine neue Stimme, die sich an die Oberfläche kämpfte. Er ermutigte Coltrane darin, seinen eigenen Weg zu gehen und niemals zurückzublicken. In den folgenden Monaten bereute Davis seine Worte gelegentlich – er hatte etwas losgetreten, das nicht recht zu seiner Gruppe passte. Coltrane begann Akkorde auf seine ganz eigene Art. Er wechselte zwischen schnellen Passagen und langen Tönen, sodass der Eindruck entstand, als kämen mehrere Stimmen gleichzeitig aus seinem Saxophon. So einen Sound hatte niemand jemals zuvor gehört. Er klang auch seltsam: Er presste die Lippen fest um das Mundstück, sodass es schien, als dränge seine eigene heisere Stimme aus dem Instrument. In seinem Spiel schwangen Angst und Aggression mit, und beides verlieh seiner Musik eine gewisse Dringlichkeit.
Vielen gefiel dieser neue Sound nicht, aber einige Kritiker fanden ihn aufregend. Einer beschrieb das, was aus Coltranes Saxophon drang, als »Klangflächen«, als spiele er ganze Notengruppen auf einmal, und er riss den Hörer mit seiner Musik mit. Coltrane bekam jetzt zwar Anerkennung und Aufmerksamkeit, aber er war nach wie vor ruhelos und unsicher. In all den Jahren des Übens und Spielens hatte er nach etwas gesucht, das er nur schwer in Worte fassen konnte. Er suchte seinen persönlichen, unverwechselbaren Sound, den perfekten Ausdruck für seine Gefühle, die oft spiritueller und transzendentaler Natur und damit kaum in Worten fassbar waren. In manchen Augenblicken erwachte sein Spiel zum Leben, aber dann verlor er das Gefühl für seine eigene Stimme wieder. Vielleicht behinderte ihn sein großes Wissen und engte ihn ein. Im Jahr 1959 verließ er Miles Davis und gründete sein eigenes Quartett. Von da an experimentierte er, bis er schließlich den Sound fand, nach dem er gesucht hatte.
Das Titelstück »Giant Steps« auf seinem ersten großen Album war ein Musterbeispiel unkonventioneller Musik. Eigenwillige, auf Terzen beruhende Akkordfolgen mit ständigen Modulationen und Akkordwechseln trieben die Musik voran. (Die auf Terzen beruhenden Akkordfolgen wurden als »Coltrane changes« bekannt und dienen Jazzmusikern heute noch als Vorlage für Improvisationen.) Das Album wurde ein Riesenerfolg. Mehrere Stücke daraus wurden zu Jazz-Klassikern, aber Coltrane ließ das Experiment kalt. Er wandte sich nun wieder Melodien zu, suchte nach etwas Freierem und Ausdrucksstärkerem, und er fand es in der Musik seiner frühen Kindheit – den Spirituals. Im Jahr 1960 schrieb er seinen ersten großen Hit, eine erweiterte Version des Songs »My Favorite Things« aus dem Broadway-Hitmusical The Sound of Music. Bei dem Stück spielte er das Sopransaxophon auf fast indische Art, fügte noch ein wenig Spiritual-Einfluss hinzu und mischte alles mit seinem Hang zu schnellen Akkordwechseln und schnellen Läufen. Es war eine eigenartige Mischung aus experimenteller und populärer Musik, wie sie kein anderer spielte.
Coltrane war ein Alchemist auf der fast aussichtslosen Suche nach dem Wesenskern der Musik. Er wollte mit der Musik seine eigenen Emotionen noch intensiver und unmittelbarer ausdrücken und eine direkte Verbindung zu seinem Unterbewusstsein herstellen. Und ganz langsam kam er seinem Ziel näher. Seine Ballade »Alabama«, die er als Antwort auf den Bombenanschlag des Ku-Klux-Klans auf eine Kirche in Birmingham schrieb, drückte etwas Wesentliches über jenen Moment und die Stimmung jener Zeit aus. Sie war die Verkörperung von Trauer und Verzweiflung. Ein Jahr später erschien sein Album A Love Supreme. Er nahm es an nur einem Tag auf, und diese Musik zu spielen war für ihn eine fast religiöse Erfahrung. Es enthielt alles, was er sich vorgestellt hatte: ausgedehnte Läufe mit einer natürlichen, frei gewählten Länge (eine Neuheit im Jazz) und einen hypnotisierenden Effekt auf die Zuhörer neben dem stürmischen Sound und der technischen Brillanz, für die er bekannt war. Mit diesem Album drückte er die Spiritualität aus, für die er keine Worte fand. Es sorgte für Aufsehen und führte ein ganz neues Publikum an Coltranes Musik
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