Perfekt! Der überlegene Weg zum Erfolg (German Edition)
Ausdrucksstarkes hervorbringen.
2. Der Hebelpunkt
Seltsame Naturphänomene faszinierten V. S. Ramachandran, seit er denken konnte. Bereits als Kind sammelte er Muscheln an den Stränden in der Nähe seiner Heimatstadt Madras. Bei seinen Forschungen beschäftigte er sich vor allem mit den besonders eigenartigen Muschelarten, wie den Fleisch fressenden Murex, die bald Teil seiner Sammlung wurden. Später galt sein Interesse mehr den ungewöhnlichen Phänomenen in Chemie, Astronomie und menschlicher Anatomie. Er erkannte wohl intuitiv, dass diese Anomalien einen natürlichen Zweck erfüllten, dass man von dem, das nicht ins Raster passt, viel lernen kann. Vielleicht fühlte er auch sich selbst – mit seiner Leidenschaft für Wissenschaft, während alle anderen Jungs sich für Sport und Spiele interessierten – als Anomalie. Auf jeden Fall wurde seine Faszination für das Bizarren und Außergewöhnliche immer stärker, je älter er wurde.
In den 1980er Jahren arbeitete er als Professor für visuelle Wahrnehmung an der University of California in San Diego und stieß auf ein Phänomen, das perfekt zu seinem Interesse an Anomalien passte – die sogenannte Phantomempfindung. In diesen Fällen spüren Menschen nach der Amputation einer Gliedmaße diese weiterhin oder empfinden Schmerzen, wo sich dieser Körperteil befunden hatte. Phantomempfindung war wie eine optische Täuschung in großem Maßstab, bei der das Gehirn Empfindungen ergänzte, wo keine sein konnten. Warum sandte das Gehirn diese Signale aus? Was verrät dieses Phänomen über die grundsätzliche Funktionsweise des Gehirns? Und warum interessierte sich kaum jemand für diesen wahrlich bizarren Zustand? Diese Fragen ließen ihn nicht mehr los, und er verschlang alle verfügbaren Informationen zum Thema.
Im Jahr 1991 las er von einem Experiment von Dr. Timothy Pons am National Institute of Health, dessen mögliche Konsequenzen ihn verblüfften. Pons’ Experiment basierte auf Forschungen des kanadischen Neurochirurgen Wilder Penfield aus den 1950er Jahren. Penfield hatte eine Karte der Regionen des menschlichen Gehirns erstellt, die für Empfindungen in den verschiedenen Körperteilen zuständig sind. Wie sich erwies, war die Karte auch auf Primaten übertragbar.
Pons hatte bei seinem Experiment mit Affen gearbeitet, deren Nervenbahnen zwischen dem Gehirn und einem Arm durchtrennt worden waren. Er fand heraus, dass bei einer Berührung der Hand am toten Arm in der entsprechenden Hirnregion erwartungsgemäß keine Aktivität stattfand. Aber wenn er das Gesicht der Affen berührte, feuerten neben den Gehirnzellen, die für das Gesicht zuständig waren, auch diejenigen, die der toten Hand entsprachen. Die Nervenzellen, welche die Empfindungen in der Hand regulierten, waren nun irgendwie vom Gesicht übernommen worden. Er konnte es nicht beweisen, aber anscheinend spürten die Affen eine Berührung ihrer toten Hand, wenn man ihr Gesicht berührte.
Diese Entdeckung inspirierte Ramachandran zu einem erstaunlich simplen Experiment. Er lud einen jungen Mann in sein Büro ein, dem man nach einem Autounfall kurze Zeit zuvor den linken Arm bis knapp über den Ellenbogen amputiert hatte, und der noch sehr starke Empfindungen in seinem Phantomglied hatte. Mit einem Wattestäbchen berührte Ramachandran die Beine und den Bauch des Mannes, die der Mann nach eigenen Angaben völlig normal spürte. Doch als Ramachandran einen bestimmten Teil der Wange mit dem Wattestäbchen berührte, spürte der Mann die Berührung sowohl in der Wange als auch im Daumen seiner Phantomhand. Ramachandran berührte weitere Regionen des Gesichtes und fand weitere Regionen, die anderen Teilen der amputierten Hand entsprachen. Die Ergebnisse waren den Resultaten aus Pons’ Experiment erstaunlich ähnlich.
Dieser einfache Test hatte weitreichende Folgen. Bisher ging man in der Neurowissenschaft davon aus, dass die Verbindungen im Gehirn bei der Geburt oder in der frühen Kindheit festgelegt wurden und praktisch unveränderlich waren. Die Ergebnisse dieses Experiments widerlegten diese Annahme. Nach dem Unfall schien das Gehirn sich grundlegend neu organisiert und völlig neue Netzwerke von Verbindungen in relativ kurzer Zeit angelegt zu haben. Anscheinend war das menschliche Gehirn deutlich formbarer, als man bisher angenommen hatte. In diesem Fall hatte sich das Gehirn auf eine ungewöhnliche und scheinbar unerklärliche Weise neu organisiert. Aber konnte diese Fähigkeit zur
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