Perfekt! Der überlegene Weg zum Erfolg (German Edition)
den er in diesem neuen Lebensabschnitt angenommenhatte – das Standbild eines riesigen Pferdes zum Andenken an Francesco Sforza, den Vater des damaligen Herzogs von Mailand. Dieser Herausforderung hatte er einfach nicht widerstehen können. Eine Statue dieser Dimension war seit der römischen Antike nicht mehr gesehen worden, und allein die technischen Anforderungen beim Guss einer solch riesigen Bronzeskulptur versetzten die Künstler der Zeit in Erstaunen. Monatelang arbeitete Leonardo an den Entwürfen, erstellte zum Test eine Replik in Ton und ließ sie auf dem größten Platz von Mailand aufstellen. Sie war gigantisch, wie ein großes Gebäude. Mengen von Menschen versammelten sich in ehrfürchtigem Staunen – die schiere Größe der Statue, die vom Künstler so trefflich eingefangene stürmische Positur, ihre Furcht einflößende Wirkung. In ganz Italien verbreitete sich die Kunde von diesem Wunderwerk, und man erwartete ungeduldig seine endgültige Umsetzung in Bronze. Eigens zu diesem Zweck hatte Leonardo ein völlig neues Gießverfahren entwickelt. Anstatt das Pferd wie üblich in kleineren Abschnitten zu gießen, wollte Leonardo eine einzige, nahtlose Gussform erstellen (aus einem selbst ersonnenen, ungewöhnlichen Mix verschiedener Materialien) und als Ganzes abgießen, was dem Pferd ein besonders organisches, natürliches Erscheinungsbild verleihen sollte.
Wenige Monate später brach allerdings ein Krieg aus und der Herzog brauchte alles an Bronze, dessen er habhaft werden konnte, für seine Geschütze. Schließlich wurde das Tonmodell abgetragen, die Pferdestatue nie vollendet. Andere Künstler machten sich über Leonardo lustig – hatte er doch so lange nach der perfekten Lösung gesucht, bis sich die Umstände zwangsläufig gegen ihn gewandt hatten. Selbst Michelangelo stimmte einmal in diesen Chor ein und meinte zu Leonardo: »Da machst du ein Modell eines Pferdestandbilds, das sich unmöglich in Bronze gießen lässt und das du zu deiner Schande wieder aufgegeben hast. Und dir haben die einfältigen Bürger von Mailand vertraut?« Derartige Vorwürfe wegen seiner langsamen Arbeitsweise war er längst gewohnt, aber wegen all der Erfahrungen, die er dabei gesammelt hatte, bereute er nichts – hatte er doch seine Vorstellungen von der Umsetzung großformatiger Projekte testen können; dieses Wissen würde ihm andernorts noch nützlich sein. Außerdem lag ihm gar nicht so viel am fertigen Produkt; schon seit je waren die Suche und der Entstehungsprozess für ihn viel aufregender gewesen.
Wenn er so über sich nachdachte, musste er fraglos das Wirken einer verborgenen Kraft in sich wahrnehmen. Als Kind hatte ihn diese Kraft in die wildeste Landschaft der Gegend gezogen, wo er die Vielfalt des Lebens in besonders intensiver, dramatischer Form erleben konnte. Dieselbe Kraft hatte ihn dazu gebracht, dem Vater Papierbögen zu stehlen und sich ganz dem Skizzieren zu widmen. Sie trieb ihn auch während der Arbeit bei Verrocchio zum Experimentieren. Sie führte ihn fort vom Hof in Florenz, fort von den dortigen Malerkollegen mit ihrem geringen Selbstwertgefühl. Sie trieb ihn an zu großer Kühnheit – riesigen Skulpturen, dem Versuch, zu fliegen, der Sektion und anatomischen Untersuchung Hunderter von Leichen – und all das auf der Suche nach der Essenz des Lebens.
Aus diesem Blickwinkel ergab alles in seinem Leben einen Sinn. Sogar seine uneheliche Herkunft hatte sich im Nachhinein als Segen erwiesen; nur so hatte er sich auf seine eigene Weise entwickeln können. Selbst beim in seinem Vaterhaus vorhandenen Papier schien das Schicksal im Spiel. Was, wenn er sich gegen diese Kraft aufgelehnt hätte? Was wäre geschehen, wenn er nach der Abfuhr mit der Sixtinischen Kapelle trotzdem mit den Übrigen nach Rom gefahren wäre und sich beim Papst angedient hätte, anstatt seiner eigenen Wege zu gehen? Er wäre durchaus dazu in der Lage gewesen. Was, wenn er sich ganz der Malerei verschrieben hätte, um ein einträgliches Leben zu führen? Oder wenn er mehr wie die anderen gewesen wäre und seine Werke so schnell wie möglich vollendet hätte? Er wäre gut damit gefahren, aber er wäre nicht der Leonardo da Vinci geworden. Seinem Leben hätte der vorbestimmte Sinn gefehlt und irgendwann wäre die Sache schief gegangen.
Diese in ihm ruhende Kraft – wie bei der viele Jahre zuvor gezeichneten Iris – hatte seine Fähigkeiten zu voller Blüte gebracht. Er hatte sich ihrer Führung anvertraut und war nun am
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