Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)
wurdest du errettet.« Radulf klang erstaunt, doch noch im Hochgefühl seines vermeintlichen Sieges.
»Nicht nur ich wurde errettet«, erwiderte Elysa. »Auch die Botschaft der seligen Hildegard. Euer schändlicher Plan ist aufgedeckt.« Sie hätte schweigen sollen, doch diese Erkenntnis kam wieder einmal zu spät.
Radulf erblasste. »Von welchem Plan sprichst du?«, fragte er ahnungsvoll.
»Von Eurem Plan, der nicht christlichem Verlangen, sondern dem nach materiellen Würden entspringt, da Ihr trotz des hohen Amtes, welches Ihr anstrebt, die Herrschaft dem regnum , nicht dem sacerdotium zugesteht.«
»Das stand in der Vision geschrieben? Wer weiß noch davon?« Seine Stimme bekam einen unheilvollen Unterton. Doch Elysa sah auch das kurze Flackern in seinen Augen, und in jenem Moment begriff sie, dass er noch immer Hoffnung auf die Erfüllung seines Planes hegte – und dass sie sich diese Hoffnung zunutze machen konnte.
»Das werde ich Euch unter keinen Umständen verraten. Es sei denn, Ihr gebt mir freies Geleit.«
Radulf lachte höhnisch.
Nun sprang auch Magnus hinzu, zitternd vor Zorn. In seinen Augen erkannte Elysa jene Unbeherrschtheit, die auch dem Mann anhing, den sie bis heute für ihren Vater gehalten hatte. »Du redest, als wärest du wissend, und lässt unser Unternehmen in trübem Licht erscheinen. Du wähnst den Papst als heilig, weil er an der Spitze der Christenheit steht, doch kennst du sein wahres Gesicht? Ein Eidbrecher ist er, ein schamloser Lügner. Was weißt du schon von Recht und Unrecht?« Ihr Bruder stand nun ganz nahe, schüttelte seine Faust vor ihrem Gesicht.
»Lass von ihr ab«, wies ihn Radulf scharf zurecht. »Ich will hören, was sie zu sagen hat.«
Unwillig trat Magnus einen Schritt zurück. Elysa presste die Lippen fest aufeinander.
»So willst du erneut schweigen?«, fragte Radulf amüsiert. »Du glaubst, ich würde dich gehen lassen, damit du mir dein Wissen enthüllst? Erinnere dich an die Priorin, die sich sicher wähnte mit dem Hinweis auf das Fragment. Nur wenig später lag sie zerschmettert auf dem Steinboden der Kirche.« Er kam näher, hauchte seinen bitteren Atem in ihr Gesicht. »Bedenke, Elysa, es gibt Wege, deine Zunge zu lösen, die weit grausamer sind als der Tod.« Dabei strich er über ihr Gesicht, das augenblicklich zu brennen schien. Den Hals entlang, in den Ausschnitt des geschnürten Kleides weiter zu ihren Brüsten. Er grinste mit gebleckten Zähnen, weidete sich an ihrem Entsetzen. Dann ließ er plötzlich von ihr ab. »Nein, meine Teuerste, das habe ich nicht gemeint, gleichwohl ich es mir für später gut vorzustellen vermag. Ich dachte an etwas, das ungleich heißer lodert als die Glut meiner Lenden.« Er nickte Magnus zu, der augenblicklich zum Tisch ging und voll grausamer Vorfreude eine der Kerzen nahm.
In jenem Moment kurzer Unaufmerksamkeit aber riss Elysa den Dolch aus ihrem Gewand und stach ihn Radulf tief in die Brust.
Einen Atemzug lang schien die Welt voller Staunen innezuhalten. Radulfs Blick weitete sich, ungläubig, als wähnte er sich jenen Wesen zugehörig, die unverletzbar waren. Dann griff er nach dem Schaft des Dolches, der die Wunde vollends verschlossen hatte, und als er ihn zog, brach das Blut mit einem Schwall hervor.
Noch während er taumelte, stürzte Elysa an Magnus vorbei zur Treppe und hastete hinunter.
Magnus stürmte hinterher, mehrere Stufen auf einmal nehmend. Der Burghof war leer. Hastig lief er zum Nebenhaus, riss die verdutzten Mägde aus dem Schlaf und stolperte zum Verschlag, scheuchte empört gackernde Hühner auf. Brüllend sah er sich um.
All das sah Elysa aus den schmalen Scharten des Verteidigungsturmes, als sich eine Hand auf ihren Mund legte. Noch während sie zusammenschrak, erkannte sie die vertraute Stimme von Clemens.
»Ruhig, Elysa, ich bin es.«
Sie nickte heftig atmend. Er senkte die Hand.
»Wie bist du hier hereingekommen?«, fragte sie wispernd.
»Die Bäuerin hat mir einen Gang gezeigt, der tief unter der Erde hindurch in den Turm führt.«
Durch die Scharten sahen sie Magnus, der ins Herrenhaus geeilt war und nun mit gezückter Axt wieder auf dem Burghof erschien. Mit verzerrtem Gesicht blickte er zu ihnen herüber, als könne er sie in der Dunkelheit des Turmes ausmachen.
»He, Wechselbalg«, rief er grollend. »Du wirst mir nicht entkommen.« Elysa bemerkte ein leichtes Torkeln in seinem Gang. Sie hoffte, dass der hastig getrunkene Wein ihm die Schlagkraft nahm, doch in diesem
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