Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)
durch die Felder zur Dunkelheit des Waldes ritt.
»Radulf wird nicht weit kommen«, flüsterte Clemens, gleichwohl er seine Enttäuschung nicht verbergen konnte.
»Zweifellos, Hildegards Vision wird ihn ereilen.« Elysa drehte sich zu ihm um. »Sobald der Morgen erwacht, brechen wir auf.«
»Du willst zurück nach Eibingen?«
»Ja, doch nicht für immer.« Sie lächelte, und in diesem Moment, als sie die Hoffnung in seinen Augen sah, durchströmte sie eine nie gekannte Zuversicht.
EPILOG
September im Jahr des Herrn 1189
Als so das Gericht beendet war, hörten Blitzen, Donnern, Winde und Unwetter auf, und was an den Elementen vergänglich war, verschwand plötzlich. Und es entstanden solche Freude und so laute Lobgesänge im Himmel, dass es kein menschlicher Begriff mehr auszudrücken vermag.
Die Elemente jedoch erstrahlten in größter Heiterkeit, als wenn ihnen eine schwarze Haut abgezogen worden wäre.
E lysa erwachte von den Strahlen der Sonne, die durch die Fensteröffnung glitten. Als sie erkannte, wo sie sich befand, sprang sie sogleich auf, erfüllt von Erwartung und Freude.
Sie sah aus dem Fenster, erblickte eifrig umhereilende Nonnen, das Fest vorzubereiten, das sie hier, auf dem Rupertsberg, jedes Jahr zur selben Zeit im Gedenken an Hildegard von Bingen begingen. Morgen würden von überall her Gläubige aller Stände strömen, ob Handwerker, Bauersleute, Adelige, Priester oder einfache Mägde, sie alle kamen herbei, die Heilige zu feiern.
Heute aber würde Elysa Margarete wiedersehen, die inzwischen Novizinnenmeisterin von Eibingen war, und auch Ida, deren ehrenvoller Ruf als geschätzte Priorin bis nach Mainz gedrungen war.
Das letzte Mal hatte Elysa die Nonnen bei der Weihe des neuen Hildegardisaltars gesehen, bei dem die Äbtissin vom Rupertsberg neue Reliquien überbracht hatte, die in einem goldbeschlagenen Schrein aus Eichenholz lagen.
Auch Elysa hatte ein Geschenk dabeigehabt: die Ländereien derer von Bergheim, denen sie sich nun, da sie nach Mainz zurückgekehrt war, nicht länger verpflichtet fühlte.
Die Ereignisse des vergangenen Novembers schienen mit einem Male wieder nahe zu sein. Bilder jener Zeit, als die Elemente sicherhoben hatten, drangen herauf und ließen Elysa trotz der lauen Wärme des aufsteigenden Tages frösteln. Noch einmal dachte sie an das Pergament, das der Mönch Adalbert mit seinem Leben verteidigt hatte, und an all die Gefahren, die dessen Entschlüsselung mit sich gebracht hatten.
In Mainz hatte die Enthüllung mittlerweile für gewaltige Unruhen gesorgt. Wie Clemens von Hagen vermutet hatte, zerfleischten sich die Prälaten in gegenseitigen Schuldzuweisungen, bis ein Mord geschah und der Erzbischof mehreren Mitgliedern des Domkapitels eine Beteiligung am Kreuzzug nahelegte, um im Zug ins Heilige Land einen Ablass der Sünden zu erwirken.
Ob die Botschaft am kaiserlichen Hofe für Erregung gesorgt hatte, war nicht zu vernehmen. Gleichwohl waren im Frühjahr eiligst Friedensverhandlungen zwischen der Kurie und dem Kaiserhof anberaumt worden, die unter der ausgleichenden Mitwirkung des römischen Adels abgeschlossen wurden.
Auch von Radulf von Braunshorn war zu hören, der in Rom zu neuen Ehren zu gelangen suchte, jedoch bei einem Übergriff durch gegen ihn aufgebrachte Stadtfürsten getötet und verbrannt wurde. Es hieß, seine Asche sei in den Tiber gestreut worden, mit jenem Gedicht, das einst dem Führer einer papstfeindlichen Volksbewegung galt:
Untergehet doch stets,
wer immer den Glauben gefährdet,
den dir, seliger Petrus,
Christus der Fels übertragen .
Doch das mochte auch ein Ausbund jener schauerlicher Geschichten sein, die in diesen Tagen kursierten, um von Berichten über die beschwerliche Reise des Kreuzheers abzulenken, die von hinterhältigen Überfällen aus dem nördlichen Makedonien zu erzählen wussten.
Am 11. Mai war Kaiser Friedrich Barbarossa von Regensburg aus mit Pilgertasche und Stab und einem gewaltigen Ritterheer in Richtung Byzanz aufgebrochen. Von Hunderttausenden war zu hören, die sich aufmachten, Jerusalem zu befreien. Ritter mit dem Pilgerkreuz auf bombierten Helmen gemalt, mit Wappen und Waffenglanz. Doch schon kamen erste Meldungen, die von nur dreitausend Rittern berichteten und weiteren zehntausend Knappen und Gesinde, nur mit Messer und dem festen Glauben als Waffen und dem Stoffkreuz auf der Brust. Weit weniger als erwartet.
Von all diesen Dingen war im Kloster Rupertsberg nichts zu spüren. Eine fromme
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